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Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Titel: Im Schatten des Mondkaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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Fehlen jeglicher Atembewegungen bewies. Seine Lippen standen leicht offen, und etwas, das getrockneter Speichel sein musste, klebte in seinen Mundwinkeln.
    Carya schlug die Hände vor den Mund. »Oh, mein Gott«, flüsterte sie. »Barmherziges Licht Gottes …« Sie spürte, wie sich ihr Blickfeld an den Rändern verengte und eine Taubheit von ihren Gliedern Besitz ergriff, so als wäre alle Kraft aus ihren Muskeln gewichen. Rasch ließ sie sich auf einen Stuhl sinken.
    »Er sieht nicht aus, als ob er gelitten hätte«, sagte Factice leise. »Der Tod scheint ihn einfach im Schlaf überrascht zu haben.«
    »Stimmt es wirklich, dass er einen Herzanfall hatte?«, fragte Carya, während sie den Anflug von Schwäche zurückdrängte.
    »Das wird sich zeigen«, antwortete die Ministerin. »Natürlich wird es eine Untersuchung geben.«
    »Dann zweifeln Sie also daran?«
    Factice seufzte. »Ich weiß es nicht. Es sind bereits Menschen auf diesem Schloss an unnatürlichen Todesursachen gestorben. Manches Intrigenspiel endet erst, wenn einer der beiden Feinde tot ist. Aber so etwas kann ich mir bei Magister Milan gar nicht vorstellen. Er hatte keine Feinde.«
    Carya musste an Cartagena denken und dass Milan sie gestern Abend während des Essens vor dem Botschafter gewarnt hatte. Er hatte auch gesagt, dass sie sich beide schon lange kennen würden und dass Cartagena ein Mann ohne Skrupel sei. Doch sie konnte Cartagena deswegen nicht einfach anklagen. Es gab keine Beweise für einen Mord, und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass auch eine genaue Untersuchung des Toten keine erbringen würde. Dafür war Cartagena zu schlau.
    Wenn es eine Spur gibt, dann führt sie höchstens zu mir , dachte sie zynisch. Aber das war vollkommen verrückt. Die Erlebnisse der letzten Nacht hatten sich alles andere als wirklich angefühlt. Es war ein Traum gewesen, einer dieser Albträume, in denen Dinge einfach geschahen, ohne dass man sie beeinflussen konnte, auch wenn sie schrecklich waren und man nicht wollte, dass sie passierten. Vielleicht handelte es sich auch um eine Vision , überlegte sie. Oder eine Art Gedankenübertragung.
    Womöglich war die Person, die durch die Korridore geeilt war, gar nicht sie selbst gewesen, sondern ein gedungener Mörder, und Caryas Geist hatte im Schlaf nur dessen Absichten und die Gefahr für Milans Leben gespürt und ihr deshalb diese Bilder gesandt. Sie hatte so etwas noch nie erlebt, aber vor ein paar Wochen hatte sie auch zielsicher Rajaels Invitrofreund Tobyn in die Schläfe geschossen, obwohl sie noch nie einen Revolver in der Hand gehalten hatte. Und den Motorwagen von Großinquisitor Aidalon hatte sie geknackt und gestohlen, obwohl beide Handlungen weit über ihre normalen Kenntnisse hinausgingen. Wer weiß, welche Kräfte mit der Zeit noch in mir erwachen.
    Neben ihr schluchzte Factice leise. Die Ministerin hatte die Arme um den Leib geschlungen, und Tränen liefen ihr übers Gesicht.
    Carya stand auf und legte ihr mitfühlend eine Hand auf den Arm. Auch Caryas Augen waren feucht.
    Factice schniefte und wischte sich mit einer Hand die Tränen von den Wangen. »Verzeihen Sie. Ich sollte nicht so offen trauern.«
    »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte Carya. Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Kannten Sie ihn gut?«
    »Nicht so gut, wie ich ihn gerne gekannt hätte«, gab Factice zu. »Aber wir kamen etwa zur gleichen Zeit nach Château Lune. Das war vor fünfzehn Jahren. Und obwohl er ursprünglich aus Arcadion stammte, aus dem Schoß des Lux Dei, gehörte er zu den wenigen, die mich nie verurteilt haben, sondern mir immer mit offenen Armen und offenem Ohr begegnet sind – bis zuletzt.« Sie blickte Carya aus tränenfeuchten Augen an, und offenbar spiegelte sich in Caryas Gesicht das Unverständnis, das sie in ihrem Inneren verspürte, denn ein schwaches Lächeln zuckte um die Mundwinkel der Ministerin. »Ich bin eine Invitro«, erklärte sie. »Ich stamme aus Ostfrancia, aus einem Landstrich, der vor fünfzehn Jahren von den Templern des Lux Dei erobert wurde. Um ihnen zu entgehen, bin ich nach Westen geflohen – und hier gelandet.«
    Die Invitro, die der Mondkaiser zu seiner Beraterin gemacht hat , erinnerte sich Carya. Cartagena hatte ihr bei ihrem ersten gemeinsamen Essen davon erzählt. Hinter ihrem Werdegang steckte bestimmt eine spannende Geschichte. Allerdings war jetzt kaum der Zeitpunkt, Julianne Factice über ihre Vergangenheit auszufragen. Zumindest erklärte ihre

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