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Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Titel: Im Schatten des Mondkaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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geschehen?«
    »Er wurde eben erst leblos im Bett liegend in seinen Gemächern aufgefunden«, berichtete der Diener aufgeregt. »Seine Majestät vermisste ihn, als er zu ihrer wöchentlichen Sitzung nicht erschien.«
    »Magister Milan hat dem Kaiser immer ein Horoskop für die kommende Woche erstellt. Der Kaiser glaubt an die Macht der Sterne«, fügte der Bibliothekar erklärend hinzu.
    »Jedenfalls ließ er daraufhin einen Diener nach dem Magister schauen, und der fand ihn friedlich, aber tot daliegend vor. Es heißt, er habe einen Herzanfall gehabt. Wie furchtbar … dabei war er kaum fünfzig Jahre alt.«
    Carya wurde schwindelig. Ein Mann, der scheinbar an Herzversagen in seinem Bett gestorben war … Auf einmal stiegen die Bilder des Albtraums der letzten Nacht in ihr auf, schemenhafte Erinnerungen daran, wie sie durch lange Gänge eilte und schließlich in ein Schlafgemach eindrang, um einem gesichtslosen Fremden Gift einzuflößen. Eine dumpfe Panik bemächtigte sich ihrer, legte eine unsichtbare Schlinge um ihre Kehle und schnürte sie ihr zu. Oh, Licht Gottes. Das kann nicht sein. Das ist völlig unmöglich.
    »Mademoiselle Carya, ist Ihnen unwohl?«, fragte der Bibliothekar besorgt. »Sie sind weiß wie ein Bettlaken. Kommen Sie, setzen Sie sich lieber hin, bevor Sie ohnmächtig werden.«
    »Nein, danke«, presste sie hervor. »Ich glaube, ich brauche etwas frische Luft. Bitte entschuldigen Sie mich.« Ohne die Bücher weiter zu beachten, in denen sie eben noch voller Leidenschaft gestöbert hatte, floh sie aus der Bibliothek. Sie eilte durch den Nordflügel und anschließend über den Schlosshof bis zum südlichen Teil des Hauptflügels. Erst als sie in den Flur einbog, auf dem Milans Gemächer lagen, wurde ihr mit Grausen klar, dass sie eigentlich gar nicht hätte wissen dürfen, wo er wohnte. Sie hatte ihn bislang nur bei Tisch getroffen. Aber vielleicht war sie auch bloß unwillkürlich der allgemeinen Aufregung gefolgt, denn als sie die Zimmer des Astrologen erreichte, hatte sich dort bereits eine Traube neugieriger Höflinge gebildet.
    »Haben Sie alle nichts zu tun?«, erscholl eine strenge Frauenstimme von der anderen Seite des Korridors her. Ein ungeduldiges Händeklatschen war zu hören. »Kommen Sie, gehen Sie weiter Ihrer Arbeit nach. Sie werden noch genug Zeit haben, sich von Magister Milan angemessen zu verabschieden. Aber jetzt stehen Sie hier nicht so im Flur herum.«
    Als sich die Gruppe murmelnd zu zerstreuen begann, sah Carya, dass es Julianne Factice, die Ministerin für innere Angelegenheiten, war, die sich ihnen näherte. Auf ihren Zügen lag eine geschäftsmäßige Strenge, doch in ihren Augen glaubte Carya tiefe Trauer zu erkennen. »Carya«, sagte sie ein wenig überrascht. »Sie sind auch hier?«
    »Ich musste kommen«, antwortete Carya. »Ich muss ihn einfach sehen. Wissen Sie, Magister Milan war der erste Mensch hier im Schloss, der mich mit offenen Armen empfangen hat. Er schien mir ein so guter Mann zu sein.« Der Gedanke, dass er nun tot war, trieb ihr die Tränen in die Augen.
    Die Züge der Ministerin wurden etwas weicher. »Einverstanden. Sie können bleiben. Kommen Sie.« Sie legte Carya einen Arm um die Schultern und führte sie in die Gemächer des Magisters. Die Diener, die sich dort aufhielten, schickte sie nach draußen. »Sorgen Sie dafür, dass uns die nächsten Minuten niemand stört«, befahl sie, bevor sie die Tür schloss.
    Im Schein der Mittagssonne, die durch die hohen Fenster hereinfiel, sah Carya sich in dem Zimmer um. Ein Stuhl, ein Sofa und ein riesiger, prachtvoll verzierter Globus in einem hölzernen Ständer fielen ihr ins Auge. Sie spürte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte. Es ist alles wie in meinem Traum. Licht Gottes, das darf einfach nicht sein.
    Der kleine Schlafraum wurde fast zur Gänze von einem großen Himmelbett ausgefüllt, dessen Baldachin allerdings fehlte. An die Zimmerdecke hatte jemand einen wunderbaren Sternenhimmel gemalt, der von einer kunstvollen Darstellung der Tierkreiszeichen eingerahmt wurde. Carya konnte sich gut vorstellen, wie Milan abends im Kerzenschein dagelegen und zu den Sternen hinaufgeblickt hatte, die für ihn von solcher Bedeutung gewesen waren.
    Auch jetzt lag er auf dem Bett, die Decke bis zur Brust hochgezogen und die Arme friedlich darauf verschränkt. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck grenzenloser Ruhe, doch es war eine Ruhe, aus der er nicht mehr erwachen würde, wie seine blasse, wächserne Haut und das

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