Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
verzweifelter Schwall von Verwünschungen hallte ihnen nach. Jonan achtete gar nicht darauf. Er hatte alles, was er brauchte. Jetzt war es an Bonasse, sein Versprechen wahr zu machen und ihm den Weg ins Schloss des Mondkaisers zu öffnen.
Kapitel 29
N achdem Carya sich frisch gemacht und umgezogen hatte, begab sie sich in den Frühstücksraum, um sich für den Tag zu stärken. Da es noch zu früh war, um Cartagena oder einen der Minister zu belästigen, beschloss sie, ihre privaten Nachforschungen auf eigene Faust zu beginnen, und zwar in der Geschichte von Château Lune und seinen Bewohnern. Denn zumindest darin war sie mit Cartagena einer Meinung: Wenn es Antworten zu den Fragen über ihre Vergangenheit gab, dann hatten sie irgendwie mit diesem Schloss zu tun. Es war kaum anzunehmen, dass man sie vor zehn Jahren mit einem Raketenflugzeug nach Orly geschickt hatte, nur um in der Trümmerzone von Paris bei einem Bandenchef zu leben. Etwas verband sie mit dem Hofstaat des Mondkaisers – und vielleicht verrieten ihr Aufzeichnungen von früher, was das sein mochte.
Sie befragte zwei der Diener und wurde auf eine Bibliothek verwiesen, die im Nordflügel des Palasts untergebracht war. Als sie dort eintraf, fielen ihr fast die Augen aus dem Kopf. Eine so große Sammlung alter und wunderschöner Bücher hatte sie noch nie gesehen. Sie hätte nicht gedacht, dass es überhaupt noch solche Sammlungen auf der Erde gab. Die meisten Bücher in Arcadion waren in den Dunklen Jahren der Not der Menschen zum Opfer gefallen. Ihre Seiten waren verbrannt worden, um Wärme zu spenden, hatten zerknüllt als Isolierung in kalten Winternächten gedient, und manche hatten die Menschen sogar gegessen, einfach weil es nichts anderes gab. So zumindest hatte man es ihr in der Akademie des Lichts erzählt.
Diese Bibliothek war von der schlimmen Zeit verschont geblieben – oder aber der Mondkaiser hatte enorme Anstrengungen unternommen, um sie erneut aufzubauen. Am liebsten hätte Carya sich hier für die nächsten zwei Jahre eingeschlossen, um all das zu lesen, was dort in den Regalen stand. Doch sie rief sich zur Ordnung und begann ihre Suche nach Schriftstücken aus der jüngeren Geschichte von Château Lune und seinen Bewohnern.
Dabei machte sie einige interessante Entdeckungen. Sie erfuhr beispielsweise, dass der Mondkaiser das Schloss gegen Ende der Dunklen Jahre übernommen hatte. Praktisch aus dem Nichts kommend und an der Spitze eines kleinen Heers ihm treuer Soldaten hatte er die Peripherie der Trümmerzone von Paris befriedet und den Menschen einen Ort gegeben, an dem sie ein neues Leben anfangen konnten. Immer mehr Überlebende hatten sich um diese Oase geschart, die nach und nach größer geworden und erblüht war, nicht zuletzt deshalb, weil der scheinbar so ruhige, sanfte Regent mit gnadenloser Härte jedes Aufkommen von Verbrechen und Barbarei niedergeschlagen hatte.
Zielstrebig und mithilfe klug handelnder Mitstreiter hatte er den Ruhm von Château Lune gemehrt und seinen Einflussbereich über ganz Francia ausgebreitet. Sah man von einigen wilden Grenzgebieten und lebensfeindlichen Todeszonen ab, von denen es in Francia mehr zu geben schien als um Arcadion herum, unterstand heute das gesamte Land seiner Regentschaft. Als er seine Macht gefestigt hatte, begann er, sein Reich zu bereisen – und von diesen Reisen brachte er nicht nur seine Frau mit, die Tochter eines Territorialherrschers aus dem Norden, sondern einige Jahre später auch seinen Sohn, der in der Festung eben jenes Mannes geboren wurde. Alexandres Mutter kam allerdings bei der Geburt ums Leben, ein Umstand, der das Leben auf Château Lune viele Monate verdüsterte.
Das alles fand Carya ausgesprochen spannend, so spannend, dass sie beinahe unwillig reagierte, als ein aufgeregter Diener hereineilte und dem Bibliothekar etwas zuflüsterte. Der feingliedrige Mann, der Caryas Großvater hätte sein können, machte ein erschüttertes Gesicht. »Was sagst du? Das kann doch nicht wahr sein! Das ist ja furchtbar.«
Gegen ihren Willen neugierig geworden, legte Carya ihr Buch zur Seite und trat hinter dem Lesepult hervor, um zu den beiden Männern hinüberzugehen. »Ist etwas passiert?«, fragte sie.
»Ich fürchte, ja«, antwortete der Bibliothekar. In seinem Blick lag Fassungslosigkeit. »Magister Milan ist tot.«
Diese Eröffnung traf Carya wie ein Eimer mit Eiswasser, den man über ihrem Kopf ausgeschüttet hatte. »Wie bitte? Er ist tot? Seit wann? Was ist
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