Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
… in zehn Minuten. Bis dahin: Gehen Sie mir aus dem Weg.«
Sie wartete die Antwort der Gardisten nicht ab, sondern wirbelte herum und rannte weiter. Einem vorbeistolzierenden Diener stahl sie einen Kelch mit Wein vom Silbertablett. Damit spülte sie sich den Mund aus, nur um den Wein anschließend in das Gefäß zurückzuspucken und dieses auf einem Beistelltisch neben zwei Sesseln abzustellen. Sie erreichte den Südflügel und eilte den Korridor hinunter zu Cartagenas Gemächern.
Ohne zu klopfen öffnete sie die Tür, die Lippen entschlossen zusammengepresst, die Rechte mit der Pistole erhoben. Als sie den Salon betrat, der an den Eingangsbereich angrenzte, saß Cartagena auf einem der Stühle mit den hohen Lehnen vor einem späten Mittagessen. Er schien gerade bei der Vorspeise, einer Suppe, zu sein. Die gebratene Ente lag jedenfalls noch unangetastet vor ihm auf dem Tablett, ebenso die Kartoffeln und das Gemüse.
»Sie wollten mich umbringen, Sie Mistkerl«, fauchte Carya ihn ohne jede Begrüßung an. Mit schnellen Schritten hatte sie das Zimmer durchquert und hielt ihm die Pistolenmündung ins Gesicht.
Erst da fiel ihr auf, dass Cartagenas Hände schlaff neben dem Suppenteller lagen. Sein ganzer Körper schien ohne jede Kraft zu sein. Der Mund stand offen, und rötlicher Speichel besudelte seinen Bart. Seine Augen starrten ihr trübe entgegen. Als er sie sah, verzogen sich seine Lippen unendlich langsam zu einem zynischen Lächeln. »Habe … einen Feind … übersehen. Schande … über … mich.« Er lachte heiser, ein Lachen, das in ein Husten überging.
Dann brachen seine Augen – und er sagte nichts mehr.
Fassungslos starrte Carya ihn an. »He«, sagte sie und stieß ihn mit der Mündung der Pistole an. »Sie dürfen jetzt nicht einfach sterben! Hören Sie? Das ist nicht fair. Ich hatte noch Fragen an Sie. Cartagena?«
Aber der Botschafter regte sich nicht mehr. Carya überprüfte seinen Atem und den Puls. Sie spürte nichts. Er war tot. Jemand hatte ihn vergiftet.
Eine seltsame Ernüchterung breitete sich in Carya aus. Damit hatte sie nicht gerechnet. Ihr fiel auf, dass Cartagena seinen Ring mit dem Symbol der Erdenwacht nicht mehr trug. Und als sie sich endlich aus ihrer Erstarrung zu lösen vermochte und rasch umsah, bemerkte sie außerdem, dass auch die schwarze Mappe mit dem messingfarbenen Schloss fehlte. Genau genommen war Cartagenas ganzes Gepäck auf einmal fort. Was ist hier geschehen? , fragte sich Carya.
»Hallo?«, schrie Jonan in den Regen hinein, der durch die offene Eisenkonstruktion prasselte. »Jetzt ist der Nächste von euch tot. Reicht es nicht langsam?« Vorsichtig schritt er auf der Plattform umher. Die vielen Metallstreben, mehrere aufgegebene Gastronomiebereiche und eine tiefer gelegte Promenade, die sich um den Mittelteil zog, machten das Gelände gefährlich unübersichtlich. In der Mitte klaffte ein gewaltiges, quadratisches Loch, durch das man auf den zerstörten Kiosk und den gepanzerten Wagen hinunterschauen konnte. Beide waren klein wie Spielzeug.
Auf der anderen Flussseite zuckte Wetterleuchten in den Wolken, und Donner grollte. Das Unwetter wurde immer heftiger. Es wurde Zeit, von hier zu verschwinden. »Habt ihr gehört?«, fragte Jonan daher laut.
»Wer ist da?«, drang von irgendwoher eine Männerstimme, die er nicht kannte.
»Hier spricht Jonan Estarto, ich komme im Auftrag seiner Majestät. Zum Beweis trage ich seinen Siegelring bei mir. Hier ist er.« Er hob den Ring hoch über den Kopf, auch wenn er nicht glaubte, dass ihn jemand aus der Ferne erkennen konnte. »Ich habe Befehl, alle Soldaten nach Château Lune zurückzuholen. Alles Schießen hat sofort aufzuhören.«
Einer spontanen Eingebung folgend, fuhr er fort: »Der Mondkaiser weiß von euren Taten, und er wird jeden, der sich widersetzt, hinrichten lassen. Ergebt ihr euch und kommt mit mir, fällt das Urteil milder aus. Also legt die Waffen nieder.« Er riskierte, sich mit der erfundenen Geschichte den Zorn des Kaisers zuzuziehen, doch wenn er damit durchkam, heiligte der Zweck sicher die Mittel.
Ein saftiger Fluch war zu vernehmen. »In Ordnung«, rief der Mann. »Ich komme raus. Nicht schießen, hört ihr?«
Jonan stieß seinen jungen Begleiter an. »Sag du es ihnen.«
»Äh … Leute, macht, was Monsieur Jonan sagt«, übernahm Mathis. »Bevor wir alle draufgehen! Bonasse wird uns eh den Hintern versohlen, wenn er hört, was wir gemacht haben.«
»Du willst uns doch nicht an Bonasse
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