Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
kurzatmig zwischen zwei gekreuzten Metallstreben und starrte fassungslos auf einen roten Fleck, der sich auf der Brust seiner Uniformjacke ausbreitete. »Das wollte ich nicht«, murmelte er. »So sollte es nicht … Tut mir leid … Ich …« Er hob den Blick und sah Jonan aus glasigen Augen an. Sein Mund öffnete sich, als wollte er noch etwas sagen. Doch es kam bloß noch ein schwacher Lufthauch heraus.
Jonan schloss kurz die Augen. »Verdammt …« Wütend schlug er mit der Faust gegen die Strebe. Er wandte sich wieder Mathis zu. »Bist du jetzt glücklich? Geht es dir besser? Da, schau dir an, was deine › Rache ‹ angerichtet hat. Schau es dir genau an. Ich will, dass du das dein ganzes Leben nicht mehr vergisst!«
»Entschuldigung«, jammerte Mathis. Er verzog das Gesicht und fing an zu schluchzen. »Er hat seinen Revolver gezogen. Ich hatte Angst. Da, sehen Sie.« Er deutete mit einem schmutzigen Finger auf Poirot, und zu Jonans Überraschung hatte der wirklich in seiner halb geöffneten Hand einen Revolver hängen. Wie es aussah, hatte er Jonans Worten mit Waffengewalt Nachdruck verleihen wollen. Dieser Idiot , dachte Jonan. Er hätte nicht sterben müssen. Er nahm die Waffe an sich, entlud sie und warf sie ebenfalls in die Dunkelheit.
»Komm mit«, sagte er zu dem Jungen. »Du hilfst mir jetzt, die anderen zur Vernunft zu bringen. Bevor hier oben alle tot sind.«
Wie um seine düsteren Worte zu untermalen, grollte Donner in den Wolken über ihren Köpfen.
»Sei still!«, fauchte Carya Aurelie an, noch immer vom Adrenalin in ihrem Körper so aufgepeitscht, dass sie vergaß, irgendeine Form von Respekt zu zeigen.
Tatsächlich klappte die junge Frau den Mund zu und stützte sich dann in einem Anfall von Schwäche auf ihre Hofdame. Pitlit hielt mit seinem Revolver Factice in Schach. Der Speiseraumdiener fächelte der ohnmächtig gewordenen Begleiterin von Aurelie Luft zu. Der Mondkaiser stand neben dem Thron und überblickte die Lage, die so weit unter Kontrolle zu sein schien.
Was Carya die Gelegenheit gab, sich um eine ganz bestimmte Sache zu kümmern. »Pitlit«, sagte sie. »Du hältst hier die Stellung.«
»Wo wollen Sie hin?«, verlangte der Kaiser zu wissen.
»Ich halte Cartagena auf, bevor er sich absetzt«, erwiderte Carya, während sie sich umdrehte und zur Tür lief. »Er ist der Drahtzieher hinter all dem.«
Bevor der Mondkaiser ihr befehlen konnte, zu bleiben, floh sie aus dem Raum. Sie musste sich beeilen, wenn sie nicht von den zweifellos nahenden Schlosswachen aufgehalten werden wollte. An ihren Händen klebte Blut. Sie hatte mindestens zwei Gardisten erschossen und einen Lieutenant, ganz zu schweigen vom Mord an der Sondergesandten Arida – wobei das eher aus Notwehr geschehen war.
Dennoch hatte der Mondkaiser alles Recht, sie festsetzen zu lassen und zu verurteilen. Aber bevor das geschah, wollte sie sich bei dem Mann »bedanken«, der ihr den Ärger der letzten Tage, ja im Grunde ihres ganzen Lebens eingebrockt hatte.
Eine Invitro, eine Künstliche, gezüchtet, um einem Prinzen zu gefallen und um seinen Vater zu ermorden, sollte es nötig werden. Die Gedanken hämmerten auf Caryas Geist ein wie Faustschläge eines Preisboxers. Noch im Laufen spürte sie, wie sich die Welt um sie zu drehen begann. Sie wankte, blieb stehen und stützte sich an einer Marmorsäule ab. Im nächsten Augenblick rebellierte ihr Magen, und sie übergab sich auf den blank gewienerten Parkettboden. Und gleich darauf ein zweites Mal.
Licht Gottes … Sie spuckte bitter schmeckende Galle aus. Mit dem Ärmel wischte sie sich den Mund ab. Dann lehnte sie sich rücklings gegen die Säule, schloss die Augen und holte zwei, drei Mal tief Luft. Ich habe drei Unschuldige erschossen. Ich bin eine Mörderin. Und ich kann nichts dagegen tun, denn ich wurde so geschaffen. Wieso haben Sie mir das angetan, Cartagena? Wieso bloß? Diese Frage wollte sie ihm selbst stellen, bevor sie entschied, ob sie ihn der Gerechtigkeit des Mondkaisers übergeben oder ihre Seele mit einem weiteren Toten beladen wollte.
Am Gangende tauchten zwei Gardisten auf. »Mademoiselle Carya, bleiben Sie stehen, sonst …«
Sie ließ sie den Satz nicht beenden, sondern hob ihre Pistole und schoss auf eine Vase direkt neben den beiden Männern, die daraufhin in tausend Splitter zerbarst. Mit erschrockener Miene sprangen die Männer zur Seite und hinter einer Zierpflanze in Deckung. »Lassen Sie mich in Ruhe!«, warnte Carya sie. »Ich ergebe mich
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