Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
verpfeifen, Mathis, oder?«, antwortete ihm ein anderer Junge. Jonan folgte der Stimme und sah ihn auf dem Dach des direkt benachbarten Gastronomiebetriebs liegen. Es handelte sich um Amineau, und auch er hatte einen von Jonans Revolvern bei sich.
»Nein, Amineau«, gab Jonan anstelle des Jungen zurück. »Niemand verpfeift euch. Zieht einfach nur friedlich ab. Ich regle den Rest.«
Der Junge musterte ihn zweifelnd, doch er nickte.
»Also schön«, rief Jonan und drehte sich dabei im Kreis, um die übrigen Zuhörer zu erreichen. Das Schießen hatte mittlerweile völlig aufgehört. Er nahm das als gutes Zeichen. »Amineau möchte auch Frieden. Wer ist noch bereit dazu?«
»Ich«, vernahm er eine Mädchenstimme. »Ich habe mir den Kopf gestoßen. Es blutet und tut ziemlich weh. Ich will nur nach Hause.«
»Gardist Renier hier«, drang es von der Promenade her. »Ich bin ebenfalls bereit, zum Schloss zurückzukehren.«
»Verräter!«, schrie jemand. Aus einer Mulde zwischen zwei Metallstreben tauchte Kylian auf. Er humpelte, und sein rechter Arm hing schlaff herunter. Blut besudelte sein nasses und schmutziges Hemd. Doch ungeachtet seiner Verletzungen glomm in seinen Augen heller Zorn, den er zuerst auf Mathis und Amineau richtete und danach auf Jonan – genau wie den Revolver, den er in seiner linken, gesunden Hand hielt. »Sie sollten nicht hier sein«, sagte er an Jonan gewandt. »Warum sind Sie aufgetaucht? Wir hätten die Mistkerle besiegt, die Jean-Luc und Louma gejagt und wie Tiere erlegt haben.«
»Genau, Jonan«, erklang eine weitere Stimme aus dem Gewirr der Metallstreben. Als Jonan den Kopf hob, erblickte er den Prinzen. Uniform und Silberschärpe waren schmutzig und sein Haar zerzaust, aber seine Maske saß noch immer makellos und er hatte sein Gewehr im Anschlag. Unversöhnliche Abscheu lag auf seinen Zügen, als er die Waffe auf Jonan richtete. »Verraten Sie es mir doch auch mal: Warum müssen Sie sich überall einmischen? Alles lief wundervoll zwischen Carya und mir, bis Sie aufgetaucht sind.«
»Nur in Eurer Fantasie, Hoheit«, erwiderte Jonan grimmig. »Abgesehen davon hat das hier absolut nichts mit Euch, Carya und mir zu tun. Und wenn doch, umso schlimmer.« Er wandte sich an Mathis und Amineau. »Verschwindet, Kinder. Ihr alle. Geht zu Bonasse, und wenn ihr verwundet seid, bittet ihn, mit Godard Kontakt aufzunehmen. Bei ihm gibt es einen Arzt. Ich komme für die Behandlungen auf.«
Die beiden Jungs nickten und machten sich eilig aus dem Staub. Wie es aussah, fanden sie Kylians Rachefeldzug nicht mehr so gut, wie vor einer Stunde noch.
»Das gilt auch für dich«, fügte Jonan etwas lauter hinzu und blickte Kylian an.
Doch der hatte seinen Revolver auf Alexandre gerichtet und starrte diesen hasserfüllt an. »Sie sind der Anführer der Schlächter. Ich erkenne Sie an der Maske!«
»Richtig, du kleiner Straßenköter.« Der Prinz erwiderte Kylians Drohung, indem er mit seinem Gewehr nun auf ihn zielte. »Und ich kann auch dich erschießen, denn du bist ein Nichts. Niemand kümmert es, ob du lebst oder stirbst. Wenn du allerdings mich umbringst, wird eine Armee über euch kommen, und sie wird dich und all deine kleinen stinkenden Freunde ausräuchern. Überleg dir gut, was du tust.«
Erneut wetterleuchtete und donnerte es über ihnen.
Neben Jonan tauchte ein hagerer Mann in Uniform auf, Gardist Renier, wie Jonan annahm. Er hielt sein Gewehr locker in der Hand und blickte unschlüssig auf die Szenerie. Offenbar konnte er sich nicht entscheiden, ob er seinem Prinzen helfen oder sich dem Befehl des Gesandten des Kaisers beugen sollte, die Waffen zu strecken.
Kylian blinzelte gegen den fallenden Regen an. Seine Hand zitterte. Er schien mit sich zu ringen. Sollte er seinem Zorn nachgeben oder nicht?
Die Lippen Alexandres umspielte ein grausames Lächeln. »Das gibt dir zu denken, nicht wahr?«, tönte er von oben aus den Streben herab. »Tötest du mich und lieferst damit all deine Freunde dem Zorn meines Vaters aus? Oder läufst du weg wie ein feiger Hund und kannst niemals wieder in den Spiegel schauen – oh verzeih, bei euch gibt es ja keine Spiegel. Was hältst du davon? Ich gebe dir eine Entscheidungshilfe.« Blitzschnell zog er den Lauf zur Seite. »He, Kleine!«, schrie er.
Ein Mädchen von vielleicht dreizehn Jahren, die sich gerade zwischen zweien der Gastronomiebereiche davonschleichen wollte, erstarrte und wandte sich um. Ihre Stirn blutete, und über die linke Wange zog sich
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