Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
dampfbetriebene Kähne gleichermaßen – festgemacht hatten.
Rund um den Hafen, an den Ausläufern grüner Hügel, drängten sich gelb und weiß getünchte Häuser mit roten Dächern eng zusammen wie eine Schafherde bei Unwetter. Die Fensterläden der meisten Gebäude waren zu dieser frühen Stunde geschlossen, aber aus ein paar Schornsteinen stieg Rauch auf, und irgendwo war bereits das Brutzeln von Gebratenem zu hören. Weiter oben, am Hang eines der Hügel, erhob sich ein einsamer Glockenturm, und noch weiter hinten, am anderen Ende der Insel, ragte die Ruine einer uralten Festung aus dem Wald auf.
Auf der Klippe oberhalb des Hafens stand ein trutziges Wohnhaus. Es war aus blassrotem Stein errichtet und besaß ein festungsartiges Fundament mit schrägen Wänden und kleinen Fenstern, auf das allerdings ein gewöhnliches Gebäude aufgesetzt worden war. Einige weitere Häuser grenzten daran an und verliehen dem gesamten Komplex das Aussehen einer kleinen Burg, wenn auch ohne Türme und Zinnen. Irgendein Spaßvogel hatte am kurzen Fahnenmast auf dem Dach des Haupthauses eine Schädelflagge mit gekreuzten Knochen gehisst, die munter im frischen Seewind wehte.
Hoffen wir, dass es ein Scherz ist , dachte Jonan.
»Das da oben sieht aus wie ein Gasthaus«, sagte Pitlit und deutete auf das Haus mit der Flagge. »Außerdem hat man dort den besten Blick auf das Dorf und den Hafen. Ich finde, wir sollten uns den Laden mal ansehen.«
Jonans Blick wanderte hinüber zu den Liegestellen der größeren Schiffe. Das Licht der aufgehenden Sonne brachte selbst rostige Rümpfe zum Glänzen. »Vielleicht machen wir zuerst einen kleinen Abstecher zu den Stegen. Ich würde mir diese Seelenverkäufer, die dort vor Anker liegen, gerne etwas näher ansehen, bevor ich eine Passage darauf buche. Womöglich können wir auch bereits in Erfahrung bringen, wer in unsere Richtung fährt. Denn ich bezweifle, dass irgendjemand nur für uns die Westküste von Francia ansteuern wird. Nicht einmal für drei Goldmünzen.«
»Die Idee finde ich gut«, stimmte Carya ihm zu. »Wenn wir am Hafen nichts erreichen, können wir immer noch die Klippe hinaufsteigen.«
Sie umrundeten die Felsenbucht, wobei sie weiteren Frühaufstehern unter den wohl überwiegend zeitweiligen Bewohnern der Insel begegneten. Ein paar junge Kerle rollten geräuschvoll zwei Metallfässer die Straße hinunter. Ein grauhaariger Mann hockte neben seinem auf den schmalen Strand gezogenen Boot und flickte Fischernetze. Und auf einem Balkon im ersten Stock stand eine junge Frau in Unterröcken, die nicht viel älter als Carya sein konnte. Auf ihrem Gesicht, auf dem die Reste gestern aufgetragener Schminke verliefen, lag ein Ausdruck erschreckender Gleichgültigkeit, während sie die drei Neuankömmlinge musterte und dabei den Qualm einer selbst gedrehten Zigarette in die Seeluft blies.
Unter den Schiffen, die am Anleger warteten, befanden sich drei, denen sie zutrauten, für eine längere Seefahrt geeignet zu sein. »Verzeihung!«, rief Jonan einem Matrosen an Bord des ersten Schiffes zu, eines sicher fünfzig Meter langen Dampfers mit dem Namen Meridia . »Wir suchen eine Passage an die Westküste von Francia. Fahren Sie zufällig in diese Richtung?«
»Tut mir leid, Kumpel«, antwortete der Mann kopfschüttelnd. »Wir wollen nach Süden. Vielleicht in zwei Monaten.«
»So lange können wir leider nicht warten. Kennen Sie vielleicht ein anderes Schiff, das unsere Route nimmt?«
Der Matrose kratzte sich am unrasierten Kinn. »Hm. Die meisten von uns bleiben im Mittleren Meer. Hier gibt es genug Küstenstädte, um ordentlich Handel zu treiben. Warum also den weiten und gefährlichen Weg über den Atlantik wagen? Aber wartet mal. Da kommt mir ein Gedanke. Fragt mal bei Dennings Kahn nach, zwei Stege weiter.« Er deutete auf einen kleinen Klipper, der ursprünglich nicht zu ihrer engeren Wahl gehört hatte, was vor allem daran lag, weil er aussah, als hätte ihn jemand aus zwei oder drei unterschiedlichen Schiffen zusammengeschweißt.
»Sind Sie sicher?«, fragte Jonan zweifelnd. »Das Gefährt sieht mir nicht sehr hochseetauglich aus.«
Der Matrose lachte. »Das stimmt. Dennings Schiff macht wirklich nicht viel her. Aber es ist verdammt robust. Und Denning ist ein wahrer Teufelskerl. Der fährt dich auch bei Nacht und Sturm ums Kap der Guten Hoffnung, wenn der Preis stimmt.«
Der Name sagte Jonan nichts, aber es musste sich wohl um eine besonders gefährliche Route handeln. Er
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