Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
voller Kanonen und so. Die schießen ein Schiff aus reinem Spaß aus dem Wasser. Und man hat keine Möglichkeit auszuweichen. Alles zu eng dort.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, dazu bringt ihr mich nicht.«
»Kennen Sie vielleicht jemanden, der … verrückt genug wäre, das zu wagen?«
»In Livorno? Nein. Die Seeleute hier hängen an ihrem Leben. Das Mittlere Meer zu befahren, um mit den Wüstenstaaten Handel zu treiben, ist schon gefährlich genug.« Er stockte kurz.
»Aber?«, half Jonan höflich nach.
»Aber wenn ihr selbst verrückt – oder verzweifelt – genug seid, könnt ihr zur Gorgoneninsel hinüberfahren.«
»Wohin?«
»Zur Gorgoneninsel.« Der Mann deutete mit einem Arm hinaus aufs Meer. Als Carya die Augen zusammenkniff, glaubte sie einen felsigen Flecken dort zu erkennen. »Liegt etwa zwanzig Seemeilen vor der Küste.«
»Was ist das für ein Ort?«, wollte Pitlit wissen. »Ein Piratenhort?« In seinen Augen leuchtete eine solche Abenteuerlust, dass Carya sich fragte, ob ihm wohl jemand früher ein paar Seefahrergeschichten zu viel erzählt hatte.
Der Mann lachte. »Ha! Nicht ganz. Aber auch nicht viel besser. Es handelt sich um ein Schmugglernest, ein geheimer – nun, nicht ganz geheimer – Hafen für Seeleute, die keine Fragen stellen und keine Furcht kennen, solange nur die Summe stimmt, die man ihnen für ihre Dienste bietet.«
Jonan warf Carya einen zweifelnden Blick zu. »Ich weiß nicht, ob es so eine gute Idee ist, sich in die Hände eines Schmugglers zu begeben. Am Ende werden wir hintergangen und an irgendeinem gottverlassenen Hafen in die Sklaverei verkauft.«
»Was denken Sie?«, wandte sich Carya an den Kapitän. »Kann man diesen Leuten trauen?«
»Ganz ehrlich? Manchen ja, manchen nein.«
»Und wie können wir die weißen von den schwarzen Schafen unterscheiden?«, fragte Jonan.
»Bauchgefühl«, sagte der Mann. »Einen besseren Rat kann ich euch leider nicht geben. Diese Burschen leben davon, ihrem Instinkt zu vertrauen, der ihnen hilft, einen guten Handel von einem schlechten zu unterscheiden, sichere Routen von gefährlichen und vertrauenswürdige Geschäftspartner von solchen, die sie übers Ohr hauen wollen. Wenn ihr euch in diesen Kreisen bewegen wollt, müsst ihr es genauso handhaben wie sie.«
»Überlasst das nur mir«, verkündete Pitlit selbstbewusst. »Ich erkenne einen faulen Apfel, auch wenn er außen glänzt. Eine Kleinigkeit.«
Carya bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick. Dann wanderten ihre Augen zu Jonan.
Der seufzte. »Wir können uns dort ja mal umsehen. Meinem Bauch gefällt die Vorstellung einer solchen Seereise nach wie vor nicht so ganz, aber mein Kopf sieht ein, dass es vermutlich der leichtere Weg ist als eine Wanderung über Land.«
»Das mit Sicherheit«, pflichtete der Kapitän ungefragt bei. »Keine Todeszonen, keine Horden von Plünderern und keine Gefahr, unterwegs zu verhungern. Denn wer nicht genug Proviant im Frachtraum hat, wird überhaupt nicht erst auslaufen.«
»Können Sie uns auf diese Insel bringen?«, fragte Carya.
»Womit wollt ihr denn bezahlen?«, antwortete der Kapitän mit einer Gegenfrage.
Carya hielt ihm den Armeerevolver hin, den sie erst vor Kurzem erbeutet hatte.
Ihr Gegenüber nahm ihn, wog ihn in der rechten Hand und nickte dann. »Also schön. Wollt ihr gleich an Bord gehen?«
»Nein, wir haben vorher noch ein paar Dinge zu erledigen.«
»Ich laufe im Morgengrauen in Richtung Alexandria aus. Wenn ihr bis dahin an Bord seid, setze ich euch auf der Gorgoneninsel ab. Bezahlt wird bei Abfahrt.« Er gab Carya den Revolver zurück. »Verspätet euch nicht. Ich werde nicht warten.«
»Keine Sorge. Wir werden pünktlich sein.« Sie verabschiedeten sich von dem Seemann und liefen durch die Stadt zurück zu der Herberge, wo sie sich von Caryas Eltern getrennt hatten.
»Wir brauchen etwas, um für die Passage aufzukommen, sollten wir auf der Insel ein Schiff finden«, sagte Jonan.
»Was ist mit dem Lastwagen?«, schlug Pitlit vor. »Geben wir den doch her! Er nützt uns eh nichts mehr.«
»Daran habe ich auch schon gedacht. Aber was soll ein Seemann damit anfangen? Wir werden ihn vorher verkaufen müssen. Und finde mal jemand, der einen geklauten Militärtransporter erwerben will.«
Zu ihrer Überraschung sollte sich dieses Problem sehr schnell in Luft auflösen. Sie hatten die Herberge kaum erreicht, als sie von Caryas Mutter schon aufgeregt empfangen wurden. »Gut, dass ihr kommt. Carya, dein Vater und
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