Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
bekommen.«
»Nein, Mama«, lehnte Carya ab. »Wir teilen.«
»Keine Widerrede, Kind«, brummte ihr Vater. »Wir haben eine recht gute Vorstellung davon, was uns erwartet – und was es uns kosten wird. Vor euch aber liegt das Unbekannte. Ihr braucht das Geld dringender als wir.«
Aus einem spontanen Verlangen heraus lief Carya zu ihrem Vater hinüber und umarmte ihn ganz fest. Tränen traten ihr in die Augenwinkel. »Danke. Euch beiden. Für alles. Ich werde euch vermissen.«
Beinahe unbeholfen legte Edoardo Diodato seine Arme um ihre Schultern. »Wir dich auch, Carya. Wir dich auch.«
Am nächsten Morgen, noch vor Sonnenaufgang, trennten sie sich unter weiteren Tränen und vielen guten Wünschen. Caryas Eltern schlossen sich dem spendablen Kaufmann an, einem rundlichen Signore namens Peneo. Carya, Jonan und Pitlit begaben sich unterdessen zum Hafen, wo sie an Bord des Zweimasters gingen, auf dem sie tags zuvor vorstellig geworden waren. Wie versprochen brachte der Kapitän sie im Austausch für den Armeerevolver bis auf eine Seemeile an die Gorgoneninsel heran. Dort ließ er ein Ruderboot zu Wasser, und vier Matrosen ruderten sie zu dem kleinen, heruntergekommenen Hafen der Insel hinüber. »Viel Glück!«, riefen sie, bevor sie mit einer Eile wieder ablegten, die Carya doch ein wenig zu denken gab.
Kapitel 9
W illkommen auf der Gorgoneninsel«, sagte eine Stimme in ihrem Rücken, deren Tonfall nichts Gutes verhieß.
Jonan drehte sich um und sah seine Annahme aufs Unerfreulichste bestätigt. Vor ihnen, am Ende des baufälligen Betonpiers, standen ein sehniger Mann und sein vierschrötiger Begleiter. Beide trugen zerschlissene Kleidung und spielten demonstrativ mit langen Messern herum, während sie gemächlich näher kamen. In ihren Augen glänzte eine Gier, die nur eins bedeuten konnte: Sie witterten in dem jungen Pärchen und dem Kind, die ganz offensichtlich nicht hierhergehörten, leichte Beute. Eine Fehleinschätzung, die Jonan zu berichtigen gedachte.
»Danke für den freundlichen Empfang«, sagte er liebenswürdig, während er die Wolldecke, die sein Templersturmgewehr verhüllte, zur Seite schlug und den Lauf der Waffe auf die beiden Schurken richtete. Neben ihm zog Pitlit seinen Revolver unter dem Hemd hervor, und Carya nahm ihren Bogen von der Schulter und legte einen Pfeil auf die Sehne. »Sagt, wo finden wir hier ein paar Seeleute, die keine Angst vor einer gefährlichen Fahrt haben?«, fuhr Jonan seelenruhig fort.
Die beiden Männer steckten ihre Messer weg und breiteten die Arme aus, als entschuldigten sie sich für ein dummes Missverständnis. Der Sehnige deutete sogar eine Verbeugung an. »Um diese Uhrzeit? Unter den Tischen der Tavernen und in den Betten geschäftstüchtiger Damen. Aber wartet nur, bis es wieder Abend wird. Dann werdet ihr an jeder Ecke auf einen Mann treffen, der weder Tod noch Teufel fürchtet. Folgt mir doch. Ich zeige euch ein kleines Gasthaus, wo ihr den Tag verbringen könnt.«
»Danke, aber wir finden uns schon allein zurecht«, sagte Jonan.
»Wie ihr wünscht. Einen schönen Tag noch. Und nichts für ungut.« Die beiden machten einige vorsichtige Schritte rückwärts, bevor sie sich umwandten und schleunigst das Weite suchten.
»Was für ein erster Eindruck«, murmelte Jonan kopfschüttelnd. »Das kann ja heiter werden.«
»Ich fand’s toll«, verkündete Pitlit strahlend. »Habt ihr gesehen, wie den Kerlen die Kinnlade runtergeklappt ist, als sie gemerkt haben, dass sie mit einem Messer zu einer Schießerei gekommen sind?«
»Das war keine Schießerei!«, ermahnte ihn Jonan. »Und es wäre auch keine geworden.«
»Ja, ja, schon klar. Kampf ist keine Lösung und so. Weiß ich doch.« Der Straßenjunge winkte ab.
Jonan unterdrückte einen Seufzer. Er richtete sein Augenmerk auf ihre unmittelbare Umgebung. Von Ferne hatte die Gorgoneninsel einfach nur wie ein Fels ausgesehen, der aus dem Meer ragte und auf dessen Kuppe grünem Puderzucker gleich ein paar Bäume verstreut waren. Dass auf der Insel Menschen lebten, hatte Jonan sich kaum vorstellen können. Erst, als sie die Ostspitze umrundet hatten, war der kleine Hafen in Sicht gekommen, in dem sie sich jetzt befanden. Im Grunde bestand er aus einer Felsenbucht, in der ein paar Boote auf den Wellen schaukelten, und einer vorgelagerten und offenbar nachträglich angebauten Anlage aus hölzernen Stegen, die sich um eine niedrige Klippe herumzog und an der die größeren Frachter – Segelschiffe und
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