Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
aus. Die Strafen für das Verbreiten solcher Schauermärchen sind drakonisch.«
»Und was ist mit Ihnen? Fürchten Sie diese Strafen nicht?«
»Ich bin der Botschafter einer fremden Macht. Das bedeutet nicht, dass ich Narrenfreiheit genieße, aber man lässt mir etwas mehr durchgehen als dem gemeinen Höfling.« Cartagena schenkte ihr einmal mehr dieses milde Lächeln. Man konnte den Eindruck gewinnen, er betrachte das Ganze hier nur als lustigen Zeitvertreib.
Als sie eine Treppe in den ersten Stock hinauf nahmen, hörte Carya aus den Tiefen des Gebäudes plötzlich leise Musik, gepaart mit dem Gelächter vieler Menschen. Es klang, als ginge es dem Hofstaat von Château Lune gut und als würde zünftig gefeiert. Aber sie bekam keine Gelegenheit, die versammelte Gesellschaft in Augenschein zu nehmen, denn der Diener führte sie in die entgegengesetzte Richtung und bog in den Südflügel des Schlosses ein. »Hier liegen die Zimmer und appartements der Höflinge und der Gäste«, verriet ihr Cartagena.
Von vorne kam ihnen der Botenjunge entgegen und erstattete ihrem Führer flüsternd Bericht. Dieser nickte daraufhin knapp und entließ den Knaben. Er ging noch ein paar Meter weiter und wandte sich dann nach links. Kurz darauf blieb er stehen und öffnete eine Tür zur Rechten. »Eure Gemächer, Monsieur Ambassadeur. Wünscht Ihr noch etwas zu speisen?«
»Ich bitte darum«, sagte Cartagena. Er warf einen Blick in den Raum. »Ich werde hier essen. Aber decken Sie für zwei. Meine Begleiterin wird sich gleich zu mir gesellen.«
»Sehr wohl.«
»Und noch etwas.« Er beugte sich zu dem Bediensteten hinüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dabei warf er einen kurzen Blick zu Carya hinüber.
Die Miene des Dieners blieb steinern, wie bislang auch. »Sehr wohl, Monsieur Ambassadeur. Ich werde mich persönlich darum kümmern.«
»Das weiß ich zu schätzen«, sagte Cartagena. Er wandte sich an Carya. »Ich erwarte Sie in einer Stunde. Waschen Sie sich bis dahin und kleiden Sie sich neu ein. Für Ihre Garderobe wird gesorgt.«
Carya schluckte und nickte bloß stumm. Das ganze Ambiente des Palasts flößte ihr gehörigen Respekt ein. Und Cartagenas höfliche, aber entschiedene Art trug das ihre dazu bei, dass sie sich ein wenig überfordert fühlte. Mit der Verachtung und der Feindseligkeit von Männern wie Inquisitor Loraldi oder Großinquisitor Aidalon hatte sie umzugehen gelernt. Rebellischer Trotz und eine aus der Tiefe ihres Inneren kommende zornige Kraft waren ihre Waffen dagegen gewesen. Hier versagte beides vollkommen. Sie brauchte noch ein wenig Zeit, um dieses neue Spiel des höfischen Umgangs zu erlernen.
Cartagena schloss die Tür zu seinen Gemächern, und der Diener brachte Carya eine weitere Treppe hinauf in den zweiten Stock, wo die Decke niedriger und das Licht gedämpfter war. Offenbar gab es auch am Hof des Mondkaisers solche und solche Gäste.
Etwa auf der Höhe, auf der auch Cartagenas Räume ein Stockwerk tiefer lagen, befand sich ihr Zimmer. »Wünschen Sie noch etwas?«, fragte der Diener, nachdem er sie eingelassen hatte, steif.
Einen Moment lang war Carya verführt, ihren Beutel und ihren Bogen einzufordern, entschied sich jedoch dafür, diese Forderung direkt an Cartagena zu stellen. Der Diener würde ihr diesbezüglich ohnehin nicht weiterhelfen können. »Nein, danke«, erwiderte sie daher, woraufhin der Mann die Tür schloss.
Neugierig nahm sie ihr Quartier in Augenschein. Für hiesige Verhältnisse war der Raum zweifellos klein, trotzdem maß er bestimmt das Dreifache ihrer Kammer zu Hause in Arcadion. Auch hier war der Boden holzgetäfelt, die Wände allerdings nur tapeziert. In einer Ecke standen zwei gepolsterte Sessel, in einer anderen gab es einen mit einem Wandschirm abgetrennten Waschbereich. Dazwischen hing ein übermannsgroßer Spiegel. Direkt gegenüber, an der linken Wand, stand ein Bett, das so verführerisch bequem aussah, dass Carya sich am liebsten hineingeworfen hätte. An der Stirnseite des Raums befanden sich zwei Fenster, die von bodenlangen Vorhängen eingerahmt waren.
Als Carya den Raum durchquerte und nach draußen schaute, bot sich ihr ein Anblick, der ihr einmal mehr den Atem verschlug. Eine riesenhafte Gartenanlage erstreckte sich hinter dem Palast, erhellt vom Licht zahlloser Laternen. Die Büsche wirkten wie mit dem Lineal geschnitten. Große Wasserbecken mit Springbrunnen, die selbst bei Nacht plätscherten, lagen direkt hinter dem Haus, danach ging es
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