Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Stimme, »warum interessieren Sie sich dermaßen für mein Leben? Ich möchte nicht undankbar klingen, aber wir kennen uns erst seit zwei Stunden und sind uns kaum unter den angenehmsten Umständen begegnet. Ich weiß noch nicht, wie viel ich Ihnen über mich erzählen möchte. Also warum reden wir nicht über den Hofstaat oder über das Wetter?«
Cartagenas Miene verhärtete sich einen Moment, doch gleich im nächsten lächelte er wieder sein mildes Lächeln. »Weil ich das Gefühl habe, dass Sie aus einem ganz bestimmten Grund die weite Reise von Arcadion nach Paris unternommen haben. Sie haben diese Reise erst vor Kurzem angetreten, denn Ihnen fehlt die Härte echter Wildniswanderer. Ihre Hände weisen kaum Schwielen auf, an Ihrem Körper sind keine Zeichen von Krankheit zu sehen, wie man sie sich zwangsläufig einhandelt, wenn man zu häufig ungeschützt Todeszonen durchquert. Wenn Sie diese Reise allerdings erst kürzlich begonnen haben, müssen Sie gezielt nach Paris gekommen sein. Und ganz gleich, ob Sie in die Trümmerzone oder hierher nach Château Lune wollten – keines dieser Ziele führt, wenn man von Südosten kommt, so unmittelbar am Flughafen von Orly vorbei, dass man sich dort spontan umschauen würde. Nein …« Er schüttelte den Kopf. »Ich denke, Sie und Ihre Freunde wollten exakt dorthin, wo wir Sie entdeckt haben. Nur das Warum will sich mir einfach nicht erschließen.«
»Und vielleicht geht Sie das auch überhaupt nichts an«, schoss Carya zurück, etwas hitziger, als sie es eigentlich wollte. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein?
Cartagena beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Regel Nummer eins am Hof des Mondkaisers: Niemals aus der Haut fahren. Wenn Sie sich derart gehen lassen, haben Sie das Rededuell schon verloren. Eine kleine Spitze ist jederzeit die richtige Antwort; alles andere wird man Ihnen sofort als Schwäche auslegen.«
»Ihre Regeln und Ihr Hof könnten mir nicht gleichgültiger sein«, fauchte Carya, die mitnichten bereit war, sich einfach so wieder zu beruhigen. »Ich will ja gar nicht hier sein. Wenn Sie der Meinung sind, ich füge mich nicht in diese Gesellschaft ein, schön. Lassen Sie mich gehen.«
Seufzend schüttelte der Botschafter den Kopf. »Sie sind wütend, und vielleicht zu Recht. Ich habe Sie mit meinen Fragen überfahren, und dafür entschuldige ich mich. Aber glauben Sie mir: Wenn es einen Ort gibt, an dem Sie Antworten auf die Fragen finden können, die Sie nach Paris geführt haben, dann ist es Château Lune. Also machen Sie nicht den Fehler, in Ihrem Zorn die Tür zuzuschlagen, die ich Ihnen geöffnet habe. Nehmen Sie sich zusammen, und wir alle werden bei diesem Spiel gewinnen.«
»Von welchem Spiel sprechen Sie? Warum haben Sie mich gerettet und hierhergebracht?«
Es schien schon, als wolle er antworten, doch dann machte Cartagena den Mund wieder zu und neigte anerkennend den Kopf. »Sehr gut. Riposte . Sie haben meinen Angriff mit einer wilden Parade abgewehrt und mich gleichzeitig mit einem Gegenangriff getroffen.«
Carya hatte keine Ahnung, was er damit meinte, aber sie war geistesgegenwärtig genug, ein grimmig selbstzufriedenes Lächeln aufzusetzen, so als wäre alles, was sie in den letzten Momenten getan hatte, von ihr so geplant gewesen.
»Ich werde Sie einweihen«, sagte Cartagena. »Sobald Sie bereit dazu sind. Wenn Sie aufhören, mich als Ihren Feind zu betrachten. Vertrauen gegen Vertrauen.«
»Beweise ich nicht schon genug Vertrauen, indem ich hier sitze und mit Ihnen esse, statt zu fliehen?«
»Beweise ich nicht einiges an Vertrauen, indem ich Sie hier sitzen und mit mir essen lasse, statt Sie einfach zu töten, wie Justeneau es am liebsten gesehen hätte?«
»Hm.« Nachdenklich kaute Carya auf einem Stück Kartoffelgratin herum.
»So wie es aussieht«, fuhr Cartagena fort, »befinden wir uns in einer Pattsituation. Also warum vergessen wir nicht die unfreundlichen Worte der letzten Minuten und beginnen noch einmal von vorne?« Er hob sein Glas, ein Friedensangebot.
Sei schlau , riet eine innere Stimme Carya. Mach mit, bevor er den Eindruck bekommt, dass du seine Mühen nicht wert bist, und du den einzigen Verbündeten verlierst, den du am Hof hast. Mit einem Lächeln hob sie ihr eigenes Glas. »Also gut.«
»Danke.« Sie prosteten einander zu und tranken. »Zum Zeichen unseres guten Willens werden wir einander nun jeweils eine Frage beantworten. Nur eine. Was meinen Sie?«
»Na schön. Fragen Sie«, sagte Carya
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