Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Gardisten auf der Handelsstraße Richtung Paris hatten reiten sehen. Er trug jetzt keinen Uniformrock, sondern ein extravagant aussehendes blaues Kostüm mit ausladendem weißsilbernem Kragen und einem keck sitzenden, halblangen Umhang, der mit einer schräg über seiner Brust verlaufenden Silberkordel befestigt war. Die silberne Halbmaske, die seine Augenpartie verdeckte, hatte er jedoch wieder angelegt. »Ich … es … bitte entschuldigen Sie meine Unachtsamkeit«, stammelte Carya auf Francianisch.
Eisblaue Augen blickten sie durchdringend an. »Es war mein Fehler«, sagte der Mann mit überraschend weicher Stimme. »Ich hätte hören müssen, dass Ihr kommt.« Er musterte sie neugierig. »Ich habe Euch im Palast noch nie gesehen. Seid Ihr neu hier?«
»Äh … ja. Mein Name ist Carya Diodato. Ich bin … ich gehöre zu Botschafter Cartagena.« Sie machte einen unbeholfenen Knicks und ärgerte sich gleich darüber, ebenso wie über ihre Unsicherheit. Wenn sie vor jedem Höfling, den sie über den Haufen rannte, so ins Stottern geriet, musste sie sich ja zum Gespött der Leute machen.
Ihr Gegenüber deutete eine Verbeugung an. »Sehr erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen, Mademoiselle Carya. Ich bin Alexandre.«
Einige Meter den Gang hinunter tauchte ein weiterer Mann auf. Er hatte gelocktes braunes Haar und trug ein braungelbes Kostüm. »Prinz Alexandre! Da seid Ihr ja«, rief er und winkte. »Kommt her, die Partie beginnt gleich.«
Alexandre verbeugte sich erneut. »Verzeiht, Mademoiselle. Die Pflicht ruft. Ich hoffe, Ihr weilt noch länger bei Hofe.«
»Ich … ich denke schon.«
»Dann freue ich mich auf ein Wiedersehen. Gute Nacht.« Elegant drehte er sich um und ging mit energisch ausgreifenden Schritten den Gang hinunter. Sein silberblauer Umhang wehte hinter ihm her.
Carya stand unterdessen wie vom Donner gerührt da und starrte ihm nach. Prinz Alexandre. Wie es aussah, hatte sie soeben den Sohn des Mondkaisers kennengelernt.
Kapitel 19
D er Morgen empfing sie mit grauem Licht über grauen Dächern. Noch auf dem Sofa liegend starrte Jonan durch das halb blinde Fenster ihres provisorischen Schlafzimmers, und die Wolkendecke, die er draußen am Himmel erblickte, passte gut zu der Stimmung, in der er sich gegenwärtig befand.
»Guten Morgen, Schlafmütze«, begrüßte Pitlit ihn, als er zur Tür hereinkam.
Jonan runzelte die Stirn. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass der Junge nicht im Zimmer gewesen war. Konzentrier dich , ermahnte er sich. Nachlässigkeiten wie diese konnten in der Wildnis tödlich sein.
Er schlug seine Wolldecke zurück, schwang die Beine vom Sofa und stand auf. »Morgen, Pitlit. Wo hast du dich denn schon herumgetrieben?«
»Ich konnte nicht richtig schlafen«, erwiderte Pitlit. »Also bin ich, als es langsam hell wurde, nach draußen gegangen und habe mich ein wenig umgesehen.«
»Ganz schön leichtsinnig. Du bist nicht in den Straßen von Arcadion. Hier könnte es überall gefährlich sein.«
Pitlit verdrehte die Augen. »Du machst dir echt zu viele Gedanken. Ich bin kein kleines Kind. Ich kann gut auf mich aufpassen. Und so sehr unterscheidet sich die Trümmerzone von Paris gar nicht vom Ödland um Arcadion.«
»Ich will ja nur nicht, dass dir auch noch etwas zustößt«, brummte Jonan, während er zum Tisch hinübertrottete, auf dem sein Beutel lag. Er öffnete ihn und schielte hungrig hinein. Handlampe, Strahlungsmesser, Navigator, Munition, Regencape. Das kleine Werkzeugset und ein Erste-Hilfe-Pack aus dem Phantom -Hubschrauber. Die Geldbörse, die Pitlit vor Wochen einem Händler des Ödland-Markts vor den Toren von Arcadion gestohlen hatte. Einiger Krimskrams, den sie auf dem Weg von der Küste hierher aus Häuserruinen geborgen hatten. Und schließlich eine Trinkflasche, in der noch ein Rest Wasser gluckerte, als Jonan sie hervorholte. Das alles war schön, gut und nützlich – nur essen konnte man es leider nicht.
»Mist«, murmelte er. »Wir müssen uns unbedingt nach etwas Essbarem umschauen, ansonsten heißt es bald, die Gürtel enger zu schnallen.«
Auf diese Worte hin griff Pitlit in seine Jackentasche. »Ach, richtig. Ich habe hier noch etwas für dich.« Er zog einen Apfel hervor und warf ihn Jonan zu. »Den Baum habe ich zwei Straßen weiter entdeckt. Es hing fast nichts mehr dran, und die Hälfte der übrigen Äpfel sah nicht so toll aus – aber ein paar konnte ich noch pflücken.«
Jonan betrachtete das kleine, etwas verschrumpelt aussehende
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