Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Stück Obst in seiner Hand. Einen Moment lang erwog er, es mit dem Strahlungsmesser zu überprüfen. Dann meldete sich sein Magen knurrend zu Wort, und Jonan zuckte innerlich mit den Schultern.
»Danke«, sagte er, bevor er herzhaft hineinbiss. Es war sicher kein opulentes Frühstück, aber besser als nichts.
»Ich habe noch etwas gefunden«, verriet ihm Pitlit. Seine Augen leuchteten. »Komm mal mit.«
Er führte Jonan durch das Treppenhaus und nach draußen vor das Gebäude. Neben der Eingangstür lehnte ein altes Fahrrad an der Wand. Der Rahmen wies Rostflecken auf, das Sattelleder war rissig, und aus den Reifen war die Luft entwichen. Insgesamt machte es allerdings einen noch recht brauchbaren Eindruck. Dennoch war Jonan etwas verwirrt. »Ein Fahrrad?«
»Ja«, bestätigte Pitlit stolz.
»Was sollen wir damit anfangen?«
»Fahren natürlich. Du sitzt auf dem Sattel und ich hinten auf dem Gepäckträger.«
Jonan hob die Augenbrauen. »Das soll wohl ein Witz sein?«
»Nein«, beharrte der Straßenjunge. »Damit kommen wir viel schneller voran, glaub mir.«
»Pitlit, die Reifen sind völlig platt. Mit dem Ding kommen wir keinen Kilometer weit. Also wenn du nicht zufällig …«
»Tadaa!«, rief der Junge und zauberte eine Luftpumpe unter seiner Jacke hervor. Er sah Jonan mit vorwurfsvoller Miene an. »Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«
»Hm.« Erneut blickte Jonan zu dem fragilen Gefährt hinüber. Er war von der Vorstellung, mit einem Fahrrad durch die Trümmerzone von Paris zu fahren, nicht sonderlich begeistert. Im Prinzip hatte er nichts gegen Fahrräder. Als Kind in Arcadion war er sehr gerne mit seinem Rad umhergefahren, und während seiner Zeit an der Templerakademie hatte er eine Weile sogar ein Dienstrad gehabt, um in der Stadt Botenfahrten zu unternehmen.
Hier, außerhalb der schützenden Mauern Arcadions, fühlte er sich allerdings seltsam entblößt und schutzlos auf einem Rad. Er hatte das Gefühl, dass er zu Fuß schneller in Deckung springen und besser durch unebenes Gelände würde fliehen können. Andererseits würde ein Fahrrad ihr Vorankommen tatsächlich deutlich beschleunigen.
»Ach, was soll’s«, sagte er und nahm die Luftpumpe von Pitlit entgegen, um sich an den beiden Reifen zu schaffen zu machen. »Wir behalten es, solange uns keine Gefahr droht. Aber wenn wir in Schwierigkeiten geraten und uns schnell in die Büsche schlagen müssen, lassen wir es zurück, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Verstanden?«
»Du bist der Boss«, sagte der Straßenjunge und grinste zufrieden.
Jonan brummte nur.
Nachdem sie ihr neues Fortbewegungsmittel flottgemacht hatten, schulterte Jonan Beutel und Sturmgewehr und schwang sich in den Sattel. Pitlit hüpfte hinter ihm auf das Rad. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Zuerst rasselte die Kette noch und die Felgen quietschten, aber mit jedem Meter lief das Rad leichtgängiger.
Sie wandten der Innenstadt von Paris zunächst den Rücken zu und fuhren stattdessen quer durch die wie ausgestorben daliegenden Ausläufer der Trümmerzone, bis sie nach einigen Kilometern auf eine Siedlung am Rand eines Waldstücks stießen, in der Menschen wohnten. Ihre Münzen aus Arcadion erwiesen sich erwartungsgemäß als so gut wie wertlos. Aber der Kaufmann nahm Jonans auf Silberscheibe gebannte Theaterstücke in Zahlung, die sie aus dem Haus des toten Ehepaars hatten mitgehen lassen, und gab ihnen dafür Lebensmittel für zwei Tage.
Nachdem Pitlit und er sich gestärkt hatten, trat Jonan erneut in die Pedale. Vom Navigator ließen sie sich zu einer schnurgeraden Straße führen, die sie zum inneren Stadtring von Paris brachte. Jonan musste zugeben, dass sie auf dem Rad deutlich schneller vorankamen als zu Fuß. Müll und Unkraut behinderten sie weniger, als er es gedacht hätte.
Als sie den Ring erreichten, folgten sie ihm eine kurze Weile, bis einige Bahngleise ihren Weg kreuzten. Jonan konsultierte erneut den Navigator und entschied, an dieser Stelle in die Innenstadt vorzudringen.
Die Straße wurde nun enger. Sie war von hohen, alten Bäumen gesäumt, die kaum Blätter besaßen und ihre Äste wie anklagende Arme in den Himmel erhoben. Dicke Wurzeln hatten den Straßenbelag aufgesprengt. Dahinter erhoben sich in einer langen Reihe weißgraue Wohnblöcke von einer Größe, wie man sie in Arcadion nicht kannte. Jonan fühlte sich an eine von Menschenhand geformte Gebirgskette erinnert.
Am Straßenrand zur Linken standen ausgebrannte
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