Im Schatten des Mondlichts - das Erbe
die nächste Notiz über ihren weiteren Aufenthalt auf Southampton hinwies. Das erschien Naomi für die damalige Zeit merkwürdig. Ihres Wissens heiratete nur der Adel in andere Länder, aber vielleicht täuschte sich Naomi in diesem Punkt, und auch Geschäftsleute verheirateten ihre Töchter mit Männern aus anderen Ländern, um die Beziehungen zu stärken.
Womöglich wollte man Ana María aber auch nicht in der Familie wissen, weil sie anders gewesen war. Es lag nahe, dass sie ein Clanmitglied gewesen war, da jemand diese Gene an Dorothea vererbt haben musste. Hatte man Ana María deshalb außer Landes geschickt?
Wie gerne hätte Naomi jetzt Dorothea nach ihren Eltern gefragt.
In den weiteren Aufzeichnungen entdeckte Naomi nichts, was ihr weitergeholfen hätte.
Leider befand sich darunter auch kein Foto ihres Großvaters. Leandra hätte sich mit Sicherheit über eine Erinnerung gefreut.
Vermutlich lag Dorothea mit ihrer Annahme richtig, dass es keine Möglichkeit gab, die Verwandlung zu stoppen und ein normales Leben zu führen. Aus diesem Grund hatte sie ihr Schicksal akzeptiert, die Schachtel unter das Bett geschoben und sie dort vergessen.
Nachdem Naomi eine Weile auf die Unterlagen gestarrt hatte, erhob sie sich und holte sich einen frischen Kaffee.
Das Einzige, was noch zur Durchsicht blieb, waren Dorotheas persönliche Notizen und Grafiken, aus denen sie nicht schlau wurde. Viel gäbe es wahrscheinlich nicht zu entdecken, sonst lägen die Dokumente bereits in Rominas geheimem Zimmer bei den anderen Schriftstücken, die sie im Laufe der Jahrzehnte zusammengetragen hatten; und das war nicht der Fall.
Trotzdem sah sie die Seiten sorgfältig durch. Dorotheas Mutmaßungen, wer die Eltern von Ana María Montana gewesen sein könnten, reichten bis zur Idee, dass Ana María von Martín Cortés abstammte.
Naomi kramte weiter, doch fand sie nichts darüber, um wen es sich bei diesem Martín Cortés gehandelt haben könnte.
Dann entdeckte sie einen Kommentar neben Martíns Namen: Jag War . Keine Erklärung, was es bedeutete; kein Hinweis, was Dorothea damit ausdrücken wollte. Dick unterstrichen prangten diese fremden Worte neben dem Namen.
Naomi suchte, ob dieser Begriff nochmals in den Aufzeichnungen zu finden war.
Sie griff nach ihrer Kaffeetasse und blätterte die Informationsbroschüren durch. Es handelte sich um Informationen zu Museen in Dresden, Paris, Madrid und Mexico City.
Auf der Rückseite der Broschüre über das Museum in Mexiko las Naomi erneut den Kommentar: Jag War ; daneben stand Seite 23.
Naomi schlug die umfangreiche Infobroschüre auf und las die angegebene Seite.
Enttäuscht registrierte sie, dass der Text nur die Eroberungsgeschichte Mexikos und einen kleinen Einblick in die Azteken- und Mayakultur behandelte. Auf dem nächsten Blatt war von Mayakodexen die Rede, die in mehreren Museen ausgestellt wurden.
Lustlos überflog sie den Inhalt, bis sie las, in welchen Museen die Schriftrollen untergebracht waren.
In Dresden, Paris, Madrid und Mexico City.
In den Städten, die Dorothea bereist und zu denen sie die Informationshefte aufbewahrt hatte. Es musste einen Zusammenhang geben. Warum sollte Dorothea sonst die Unterlagen zusammen mit Erinnerungsfotos und Zeitungsausschnitten aufgehoben haben?
Damals musste es für sie einen triftigen Grund gegeben haben, auch wenn es ihr später unwichtig vorgekommen war und sie es deshalb Romina gegenüber nicht erwähnt hatte. Es konnte unmöglich irrelevant sein, wenn sie dafür quer durch Europa und sogar nach Lateinamerika gereist war.
Die Frage war nur: Wonach suchte sie?
Nach weiteren Familienmitgliedern? Nach dem ersten Clanmitglied? Selbst wenn sie es gefunden hätte, was hätte es ihr genützt? Nichts. Es wäre längst tot und nicht mehr in der Lage überhaupt etwas zu erzählen.
Gähnend sank sie in die Polster zurück, legte die Beine auf die Armstützen und sah zum Fenster hinaus.
Nach dem Frühstück würde sie mit Romina den Inhalt der Schachtel besprechen. Vielleicht wusste sie doch etwas darüber.
Beim Gedanken an ein Brötchen knurrte ihr der Magen. Bevor sie ihren Kühlschrank oben nicht bestückt hatten, blieb ihr nichts weiter übrig als abzuwarten, bis die anderen aufstanden.
Naomi blickte zur Wanduhr. Kurz vor acht. Sie schlich zu Kai, um nach ihm zu sehen. Er schlief noch in derselben Stellung in seiner Wiege. Sollte er aufwachen, würde sich Roman um ihn kümmern können. In der Zwischenzeit wollte sie unten das
Weitere Kostenlose Bücher