Im Schatten des Mondlichts - das Erbe
einfach so abschütteln, und der junge Thursfield denkt garantiert jeden Tag an mich, wenn er die Narben auf seiner Brust sieht. Wenn sie uns lange genug in Barcelona suchen, finden sie uns irgendwann. In Deutschland fühlte ich mich sicherer.«
Karsten schüttelte den Kopf. »Wirklich in Sicherheit seid ihr erst, wenn Sammy tot ist und dieser windige Schleimer von Anwalt sich alleine nicht mehr traut, etwas gegen euch zu unternehmen. Und keinen Tag früher. Wenn Sammy in jener Nacht im Wald aufgetaucht wäre, hättet ihr jetzt euren Frieden.«
»Wer sagt denn, dass es dann gut für uns ausgegangen wäre? Ob sich Pilar uns tatsächlich angeschlossen hätte, oder ob sie sich auf die Seite von Sammy geschlagen hätte, können wir nicht wissen. Ich traue ihr nicht.«
»Würde ich an deiner Stelle auch nicht. Sei vorsichtig und halte die Augen offen. Das mache ich seit damals automatisch, sobald ich einen Rotschopf entdecke.« Er ließ seinen Blick über die Straße schweifen. »Themawechsel. Alice kommt.«
Ihre Freundin fiel ihr in die Arme, küsste sie mehrfach auf die Wangen und ließ sich in einen der Stühle fallen. »Ich kann es noch gar nicht fassen, dass ihr nach Barcelona gezogen seid. Ich freue mich schon auf unsere erste gemeinsame Vorlesung.« Zwischenzeitlich hatte Alice ihr Sportstudium wieder aufgenommen, was ihre Eltern mit Freude bezahlten. Ohne deren Zuschuss wäre es ihr unmöglich, in Barcelona zu studieren, zumal Alice durch ihren Job als Fitnesstrainerin gerade so die Miete ihrer Wohnung bezahlen konnte. »Bis dahin sollten wir nur noch Spanisch sprechen, damit du schneller lernst.«
Naomi verzog das Gesicht.
Karsten prustete laut los. »Und das schlägst ausgerechnet du vor! Wie lange hast du dich geweigert, auch nur ins Kino zu gehen, wenn der Film in Spanisch lief?«
Alice boxte ihn liebevoll auf den Oberarm. »Jetzt übertreibst du aber gewaltig. Ich wollte nur nicht mit dir in Spanisch reden.«
Die Neckereien entlockten Naomi ein Lächeln. Ja, mit der Beziehung der beiden stand alles bestens.
Der Nachmittag verging wie im Flug und Naomi versprach beim Abschied, das nächste Mal ihre beiden Männer mitzubringen. »Wollt ihr euch am Wochenende unsere Wohnung ansehen? Ein echter Glücksgriff. Wirklich. Die Leute sind supernett. Ich kann´s immer noch nicht glauben, dass Roman zufällig über dieses Inserat gestolpert ist.« Das war zumindest die Ausrede für Alice. Sie sollte nichts über die Familienverbindung erfahren. Das gäbe nur unnötige Fragen. Die Wohnung sei als Studentenwohnung ausgeschrieben gewesen und Roman hätte die Anzeige im Internet entdeckt. Eine einfache und unkomplizierte Lüge. Nachdem die Verabredung für den kommenden Samstag getroffen war, verabschiedete sich Naomi von ihren Freunden und spazierte zur Bushaltestelle, um auf den nächsten Bus zu warten, der in ihr Wohnviertel fuhr.
*
Nach einer schlaflosen Nacht quälte sich Naomi aus den Federn. Die halbe Nacht hatte sie darüber nachgedacht, wie sie Dorotheas Recherche im Internet abgleichen sollte. Durch den Trubel am Vorabend hatte sie es einfach vergessen, was sie ärgerte.
Am vergangenen Abend hatte sie sich zusammenreißen müssen, um nicht einen Streit vom Zaun zu brechen. Pilar war aufgedonnert zum Abendessen erschienen, während Naomi sich mit dem vollgespuckten Sweatshirt, den Leggins und den nachlässig zusammengezwirbelten Haaren vorkam, wie eine Putzfrau bei einem Galadinner.
Schon beim ersten Blick auf Pilar hätte Naomi fluchen mögen. Doch woher hätte sie die Zeit stehlen sollen, sich fürs Abendessen zurechtzumachen? Nach ihrem Treffen mit Karsten und Alice hatte die verbleibende Zeit gerade noch für eine Runde Joggen, eine rasche Dusche und das Füttern von Kai ausgereicht.
Roman hatte zwar vorgeschlagen, ihm das Fläschchen zu geben, aber nachdem sie den ganzen Tag unterwegs gewesen war, hatte sie wenigstens diese paar Minuten mit Kai genießen wollen.
Dass Kai ausgerechnet auf dem Weg ins Esszimmer an ihren Haaren reißen und ein Milchbäuerchen über ihr Sweatshirt spucken würde, machte die ganze Situation nicht leichter, auch wenn es Roman amüsierte, weil Kai mit ihm dasselbe am Morgen veranstaltet hatte.
Mit kunstvoll hochgestecktem Haar, perfektem Make-up und in einem figurbetonten Minikleid stand Pilar im Türrahmen und drückte den Rücken durch, als Roman den Flur entlangkam.
Iker hatte Naomi einen flehenden Blick zugeworfen. Er musste in ihren Gedanken gelesen
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