Im Schatten des Mondlichts - das Erbe
erhalten zu haben. Niemals würde sie diesen Anblick in seiner ganzen Schönheit in Worten beschreiben können.
Eine Stunde lang sah sie aus dem Fenster, bis das Flugzeug entlang der amerikanischen Küste flog und es außer Wasser nichts mehr zu sehen gab.
Sie nahm ihr Vokabelheft und schlug es auf. Obwohl sie sich zwingen wollte, wenigstens einige neue Vokabeln zu lernen, schaffte sie es nicht, ihre Gedanken an die vergangene Nacht zu verdrängen.
Irgendwann, sobald ihr Spanisch gut genug wäre, würde sie hierher zurückkommen und versuchen herauszufinden, was aus Malintzin geworden war. Irgendwo musste es doch Aufzeichnungen über diese bemerkenswerte Frau geben. Eventuell könnte sie im historischen Museum mehr über sie erfahren.
Die Stewardess brachte das Essen und Naomi entschied sich, einen Wein dazu zu trinken. Vielleicht würde ihr der Rotwein helfen, etwas Schlaf zu finden. Appetitlos aß sie die servierten Tortellini in Tomatensoße und den Salat. Obwohl sie seit knapp dreißig Stunden nichts mehr gegessen hatte, verspürte sie keinen Hunger.
Der Wein tat seine Wirkung, und Naomi stopfte das Kopfkissen zwischen die Kabinenwand und die Rücklehne. An die Kabinenwand gelehnt, schlief sie innerhalb kürzester Zeit ein.
Naomi erwachte zwei Stunden später, als der Landeanflug nach Atlanta begann.
Müde begab sie sich von ihrem Gate zum nächsten, wo der Weiterflug nach Barcelona bereits angezeigt wurde. Naomi sah auf die Uhr und überlegte, ob sie Roman kurz anrufen sollte. In Barcelona wäre es neun Uhr abends. Roman würde vermutlich gerade beim Abendessen sitzen. Naomi entschied sich dagegen, um ihn nicht dabei zu stören, obwohl es sie in den Fingern juckte, Pilar wissen zu lassen, dass ein Essen nichts ändern würde. Doch das kam ihr kleinlich vor und sie widerstand der Versuchung.
Auf dem Flug von Atlanta nach Barcelona nickte Naomi immer wieder ein. Sie fühlte sich todmüde nach der schlaflosen Nacht und freute sich bereits darauf, nach dem Frühstück neben Roman einzuschlafen.
Pünktlich um sieben Uhr fünf landete die Maschine auf dem Flughafen in Barcelona. Die Freude in wenigen Minuten Roman und Kai zu sehen, weckte ihre Lebensgeister. Kaum hatte sie ihre Reisetasche vom Gepäckband gezogen, eilte sie durch die Zollkontrolle zu den Taxiständen, stieg ein und nannte dem Fahrer ihr Ziel.
Dreißig Minuten später stieg sie aus, schloss die Tür auf und betrat das Grundstück. Iker würde vermutlich noch schlafen, doch Roman wartete mit Sicherheit schon oben auf sie.
Kaum hatte sie die Haustür aufgeschlossen, spürte sie, dass etwas nicht stimmte. Kein Kaffeegeruch zog durchs Erdgeschoss. Naomi blickte in die Küche und nichts wies darauf hin, dass hier jemand in aller Eile ein Frühstück vorbereitet hatte.
Naomi lächelte, als ihr der Gedanke kam, Roman könnte verschlafen haben. Sie eilte die Treppenstufen hoch, öffnete die Tür zu ihrem Schlafzimmer und erstarrte.
Das Bett war leer. Die Tagesdecke lag zerknautscht darüber, aber das Bett schien unbenutzt. Naomi ließ die Tasche fallen und rannte in Kais Zimmer. Einige Schrecksekunden starrte sie auf die leere Wiege, bevor sie sich auf dem Absatz umdrehte und die Treppenstufen hinabflog, um Ikers Zimmertür aufzureißen. Auch sein Bett schien unberührt.
Panik ergriff sie und Naomi rief, so laut sie konnte, nach Roman.
Nichts.
In ihrer Verzweiflung stürmte sie sogar in Pilars Zimmer. Auch dort hielt sich niemand auf. Kopflos rannte sie durch das Haus und rief abwechselnd Romans und Ikers Namen, doch keiner von beiden antwortete ihr.
Für einen Moment schloss sie die Augen. Denk nach, sagte sie sich, wo könnten sie um diese Uhrzeit sein? Anschließend zog sie ihr Handy aus der Hosentasche und wählte Romans Nummer. Ein leiser Klingelton war zu hören. Nur wo? Sie suchte in der Küche. Nichts. In der Bibliothek? Auch nicht, doch der Klingelton war lauter zu vernehmen. Dann betrat sie das Esszimmer.
Mitten auf dem Tisch lag Romans Handy. Es leuchtete und vibrierte auf dem Holztisch. Die aufsteigende Hitze in ihrem Körper schien sie innerlich zu verbrennen.
Sie wählte Pilars Nummer. Es klingelte durch, bis die Mailbox ansprang. Ein Klingelgeräusch hörte sie nicht. Pilar musste im Haus ihres Vaters geschlafen haben. Doch wo wohnte der?
Kopfschüttelnd ging sie in die Knie. Was sollte sie nun tun? Niemals hätte Roman mit Kai früh morgens das Haus verlassen. Er wusste, sie würde nach Hause kommen. Selbst in einem
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