Im Schatten des Mondlichts - das Erbe
trug Kai und legte ihn in einen Korb neben Roman.
Als Sammy den anderen Kerl zur Seite nahm, standen sie direkt unter ihr. Naomi hielt den Atem an. Sie verstand nicht alles, was gesprochen wurde, nur, dass dieser Typ Roman töten sollte, wenn sie Sammy im Kampf überlegen wäre. Irgendwoher kannte sie diesen Mann. Es dauerte einige Zeit, bis ihr einfiel, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte. Das war der Typ, den sie in London auf dem Bahnhof und später in der Anwaltskanzlei gesehen hatte. Bedeutete das, dass Thursfield Junior sich ebenfalls hier aufhielt? Dann wäre sie verloren. Alleine gegen vier Gegner; das würde sie nicht schaffen. Niemals.
An den knackenden Geräuschen erkannte sie, dass sich die beiden Männer entfernten. Seitlich unter sich entdeckte sie Pilar, die sich verstohlen Tränen aus dem Gesicht wischte. Warum weinte Pilar, wenn sie sie doch eiskalt verraten hatte? Pilars Reaktion gab ihr weitere Rätsel auf.
Pilar ging auf Roman zu. Was sie zu ihm sagte, konnte Naomi nicht verstehen. Die Entfernung war zu groß.
Die Dämmerung brach herein. Bald wäre die Sonne untergegangen. In knapp einer Stunde wäre alles vorbei.
Sammy winkte Pilar zu sich. Sie setzten sich unter die größte Eiche. Von dem anderen Kerl war nichts mehr zu sehen. Vermutlich versteckte er sich im Wald, um sie dann aus dem Hinterhalt anzugreifen.
Naomi grübelte darüber nach, warum Iker nicht ebenfalls hier war. Wo hatten sie ihn versteckt? Ob er überhaupt noch am Leben war?
Pilars Tränen ließen sie daran zweifeln, ob sie sie im Ernstfall tatsächlich angreifen würde, oder ob sie einfach nur Sammys Spielball war und er sie mit etwas unter Druck setzte, was ihr keine andere Wahl ließ, als so zu handeln, wie sie es gerade tat.
Während sich Sammy mit Pilar unterhielt, und diese immer mehr in sich zusammensank, zog sich Naomi vorsichtig aus. Die Hitzewallungen ließen sie bereits schwitzen. Ihre Turnschuhe steckte sie über kleine Äste und die Kleidung verbarg sie in den dicht mit Blättern bewachsenen Ästen.
Naomi betete, dass ihr Plan gelingen möge. Ein Angriff von hier oben würde Sammy zweifellos überraschen, doch sollte sie während der Verwandlung vom Baum stürzen, dann wäre sie verloren. Die Hitze brach in Wellen über sie herein. Naomi kletterte vorsichtig auf die Astgabel des unteren Astkranzes, kauerte sich auf die breiteste Stelle, und noch bevor sie einen letzten Blick auf die Lichtung werfen konnte, verlor sie das Bewusstsein.
Als sie wieder zu sich kam, öffnete sie die Augen und wagte es nicht, sich zu bewegen. Erst als sie sich versichert hatte, dass sie noch auf der Astgabel lag, hob sie behutsam den Kopf, der bislang auf einem Ast geruht hatte. Ihre Vorderbeine hingen rechts und links herunter und ihre Hinterläufe waren durch ihr Körpergewicht an den Stamm geklemmt. Sie widerstand dem Drang, sich ausgiebig zu strecken, und erhob sich zögernd, bis sie mit allen vier Pfoten auf dem Ast stand. Dann erst streckte sie ihren Körper und dehnte die verspannten Muskeln.
Ein Blick auf die Lichtung genügte, um zu erkennen, dass weder Pilar noch Sammy sich dort aufhielten. Sie verbargen sich irgendwo zwischen den Bäumen. Naomi beschloss zu warten. Irgendwann würde Sammy nach ihr suchen und unweigerlich in ihre Nähe gelangen. Sie blickte kurz zu Roman und zwang sich, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen. Wenn sie Sammy besiegen wollte, musste sie sich konzentrieren. Sie schloss die Augen und atmete ruhig ein und aus, um die innere Anspannung unter Kontrolle zu bekommen. Es war, als bereite sie sich auf einen Wettkampf vor. Nur würde dieser Kampf nicht nach Punkten entschieden werden.
Ein leises Knacken erregte ihre Aufmerksamkeit. Irgendjemand schlich durch den Wald. Sie stellte die Ohren schräg, um besser filtern zu können, woher die Geräusche kamen. Reglos lauschte sie in die Nacht, bis sie Pilars Gedanken auffing.
»Sie ist nicht hier.« Ein Schatten tauchte unter ihr auf. An der Körpergröße erkannte sie, dass es sich um Pilar handeln musste.
Die Suche nach ihr hatte bereits begonnen.
Pilar trat aus dem Schatten. Der Vollmond beschien die Lichtung und bestätigte Naomis Verdacht. Sie duckte sich zusammen.
Nachdem sich Pilar auf die Hinterläufe setzte, keimte in Naomi die Hoffnung auf, dass Sammy sich ihr nähern würde. Hoch konzentriert starrte sie dorthin, wo Pilar immer noch saß.
Ihre Geduld wurde belohnt. Wenig später raschelte es im Gebüsch. Sammy ging auf Pilar zu, und
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