Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
winkte ihre Großmutter herein, machte ein Zeichen, sie solle schnell die Tür schließen und legte ihren Zeigefinger auf die Lippen, um ihr klarzumachen, dass sie kein Wort von sich geben sollte.
»Der Schlüssel wurde dem Schwiegervater meines Vaters übergeben, der ihn aufbewahrte und ihn später an mich weitergab, als er sich aus der Kanzlei zurückzog. Können Sie mir sagen, was daran so Besonderes ist?«
Der Anwalt schien aufrichtig; zumindest was den Schlüssel anbelangte. Trotzdem war er Naomi eine Spur zu neugierig. Wenn es sich nur um einen Schlüssel und einen vermutlich billigen Anhänger handelte, grenzte es an ein Wunder, dass er nicht längst weggeworfen worden war.
Es waren also keine schriftlichen Aufzeichnungen vorhanden. »Mr. Thursfield, leider kann ich Ihnen im Moment dazu keine Auskunft geben, weil ich hoffte, es befänden sich Dokumente darunter, die einen Hinweis darauf gäben, wozu dieser Schlüssel gehört. Ohne einen entsprechenden Hinweis ist er höchstwahrscheinlich nur ein Erinnerungsstück.«
»Sie werden ihn nicht abholen?«, fragte er nach. »Das wäre schade. Wir hätten Sie so gerne persönlich kennengelernt.«
Naomi lächelte. Er war neugieriger, als er zugeben wollte. Sie war sich sicher, dass er darauf brannte, hinter das Geheimnis zu kommen. Augenblicklich schwor sie sich, diesen Menschen keinesfalls zu unterschätzen. »Selbstverständlich. London ist immer eine Reise wert, und Sie verwahrten den Schlüssel so lange, dass es eine Schande wäre, ihn nach all den Jahren wegzuwerfen. Selbst wenn er wertlos ist, so möchte ich ihn trotzdem abholen. Damit sind Sie von Ihrer kleinen Last befreit, selbst wenn ich Ihnen nichts über die Bedeutung des Schlüssels sagen kann. Mr. Thursfield, ich melde mich an, bevor ich nach London komme. In den nächsten Tagen werde ich die Reise vorbereiten. Beste Grüße an Ihren Vater. Bye bye.« Naomi drückte auf die Aus-Taste.
»Mit wem hast du denn so geschwollen geredet?« Leandra stemmte die Hände in die Hüften. »Doch nicht etwa mit dem Anwalt! Ohne mich dazuzuholen?«
»Nicht ich habe mit ihm telefoniert, sondern du«, konterte Naomi.
»Als ob ich so daherreden würde.« Leandra verzog die Mundwinkel. »Du hättest warten können, bis ich wieder vom Einkaufen zurück bin.«
»Ja, ja, aber dann wäre Mama auch im Haus gewesen, und das wollte ich nicht riskieren.« Naomi ließ sich auf das Bett fallen. Sie klopfte auf die Matratze, bis sich ihre Großmutter zu ihr setzte.
Nachdem sie Leandra auf den neuesten Stand gebracht hatte, verschränkte sie die Arme im Nacken und fuhr zusammen, als ein beißender Schmerz durch ihre verletzte Schulter zuckte. Sie drehte sich zur Seite. »Ich wette, der junge Thursfield denkt, der Schlüssel führt zu den Familienjuwelen. Ich musste ihn nicht einmal sehen, um zu wissen, dass seine Augen mit Sicherheit vor Gier geglitzert haben.«
»Naomi, du siehst zu viele Krimis. Überleg mal. Wenn du seit beinahe sechzig Jahren so ein Stück aufbewahrst und es schon hundert Mal wegwerfen wolltest, wärst du dann nicht auch neugierig?«
»Hm«, grunzte Naomi. »Vielleicht. Aber bestimmt würde ich deswegen keine Sightseeingtour anbieten. Apropos. Ich habe ihm gesagt, wir kämen in drei Wochen.«
»Und wie sollen wir das anstellen? Luna flippt aus, wenn du nochmals in ein Flugzeug steigen willst.«
»Oma, es gibt auch Züge«, spottete sie. »Weißt du, das sind die langen Maschinenteile, die auf Schienen durch die Landschaft fahren.«
Leandra gab ihr einen Klaps, bevor sie kopfschüttelnd das Zimmer verließ.
Drei
Naomi joggte auf dem schmalen Feldweg tiefer in die Heide hinein. Die Dolden der Glocken-Heide standen in voller Blüte, was den flachen Landstrich in einen purpurfarbenen Teppich verwandelte. Bienen flogen von Blüte zu Blüte. So sehr Naomi den Anblick auch genoss, so wenig mochte sie den Heidehonig, den man in der ganzen Gegend wie flüssiges Gold handelte. Sie roch den süßen Duft und wunderte sich, dass er ihr keine Übelkeit verursachte.
Langsam kam sie besser mit ihrer Schwangerschaft zurecht. Den Arzttermin hatte sie hinter sich und alles war in bester Ordnung. Bei der Untersuchung hatte der Arzt jedoch festgestellt, dass sie das war, was man eine schwangere Jungfrau nannte. Auf Naomis verwunderten Blick hatte er weitererklärt, dass dies gar nicht so ungewöhnlich sei, weil das Hymen bei vielen Frauen extrem dehnbar sei und oftmals erst später reißen würde. Gerade in
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