Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
die Treppenstufen hoch in ihr Schlafzimmer.
Naomi schlich den ganzen Tag über durchs Haus, stets auf der Suche nach einem Weg unbemerkt zu entwischen. Sollte sich Luna in der Küche aufhalten, wäre es ihr schlichtweg unmöglich. Durch den hinteren Garten hinauszuschleichen, ginge wegen der hohen Hecke ebenso wenig, wie durch ein Fenster im Erdgeschoss. Alle Wege führten an der Küche vorbei. Die Sonne sank immer tiefer, und Naomis Unruhe wuchs. Sie musste gehen. Ohne Leandras Hilfe käme sie nicht aus dem Haus.
Naomi ging in die Küche und erklärte ihrer Mutter, sie sei müde und lege sich schon schlafen. Luna sah kurz von der Zeitung auf und wünschte ihr eine gute Nacht.
Ihrer Oma gab Naomi ein Zeichen, bevor sie die Treppe geräuschvoll nach oben stapfte und die Zimmertür von außen ins Schloss warf. Leise tastete sich Naomi die Stufen hinunter und gab Leandra den vereinbarten Wink, nun Luna aus der Küche zu locken.
Naomi hielt die Enge des Hauses kaum noch aus. Jede Faser ihres Körpers drängte nach draußen. Sie atmete flach ein und aus und konzentrierte sich auf ihre Atmung, um nicht hinauszustürzen.
Leandra ging in den hinteren Teil des Gartens und rief nach ihrer Tochter, sie solle sofort zu ihr kommen. Naomi hörte ihre Mutter murren. Luna schob den Küchenstuhl dröhnend nach hinten, und ihre leisen Schritte entfernten sich. Naomi linste um die Ecke, bis sie ihre Mutter im Garten verschwinden sah. Geräuschlos öffnete sie die angelehnte Haustür, schlüpfte hinaus und lehnte die Eingangstür wieder an. Leandra würde sie später absperren.
Naomi drehte sich nicht mehr um. Sie rannte den Feldweg entlang in Richtung Wald und spürte, wie das einengende Gefühl von ihr abfiel. Die aufwallende Hitze, die ihren Körper durchströmte, jagte ihr keine Angst mehr ein; ebenso wenig die überdeutlichen Geräusche der Tiere des im Dämmerlicht versinkenden Waldes.
Der noch warme Waldboden roch würzig, der süße Geruch der Glocken-Heide verlor mit jedem Schritt, der sie tiefer in den Wald führte, an Intensität. Die Eiche lockte sie, wie es noch letzten Monat die Ulme auf der Lichtung in Stillwater getan hatte. Ihr Gefühl hatte sie nicht getrogen; an der Eiche lag ihr geheimer Treffpunkt.
Sie legte ihren Jogginganzug ab. Dicht an den Stamm gekauert lag sie zwischen den Wurzeln. Eine angenehme Wärme erfüllte sie. Ihr Körper kribbelte, bevor sie tiefe Dunkelheit umhüllte.
Naomi öffnete ihre Augen, die sofort die nähere Umgebung absuchten. Keiner zu sehen. Ihr Körper erbebte, als sie sich herzhaft streckte, um die Muskulatur zu lockern, die sich zu Beginn immer verspannt anfühlte. Danach stand sie auf und erkundete die umliegende Gegend. Sie stellte die Ohren auf, lauschte in sämtliche Richtungen; bis auf die Waldgeräusche vernahm sie nichts. Auch drängte sich kein fremder Gedanke in ihren Kopf. Sie war allein.
Enttäuscht ließ sie den Kopf hängen. Was nun? Sie hatte gehofft, auf Mitglieder des Clans zu treffen. Dabei hatte sie die Vorstellung verdrängt, wie gering die Wahrscheinlichkeit war, dass sich in diesem Kaff tatsächlich noch jemand wie sie befände. Sie hätte sich nicht zu große Hoffnungen machen dürfen.
Auf den Hinterpfoten sitzend starrte sie die Eiche an. Und wenn sie doch am falschen Ort war? Nein. Keiner aus ihrem Clan konnte wissen, dass sie nicht mehr in Maine war. Dort wäre sie mit Sicherheit auf andere Mitglieder gestoßen.
Doch sie war nicht mehr in Stillwater. Und nicht mehr bei Roman. Roman. Der Gedanke an ihn verscheuchte ihre Enttäuschung. Auch wenn niemand hier war, so hatte sie von Kai doch gelernt, wie sie trainieren musste, um stärker zu werden. Jammern brachte sie nicht weiter. Solange keiner hier auftauchte, musste sie sich auch vor niemandem in Acht nehmen. Sie konnte zwei Nächte hart trainieren.
Nachdem sie ihren Plan gefasst hatte, begann Naomi, in größer werdenden Bögen, um die Eiche zu kreisen. Sollte doch noch jemand auftauchen, würde sie ihn wenigstens nicht verpassen. Die ersten Runden drehte sie in lockerem Trab, um zu sehen, wie stark sie ihre verletzte Schulter belasten konnte. Es ging. Sie legte eine Gangart zu und steigerte das Tempo in den Galopp. Den tief hängenden Ästen versuchte sie auszuweichen und galoppierte im Slalom zwischen den Bäumen hin und her, bis sie hechelnd ins Schritttempo verfiel. In ihrer Schulter pochte es, doch war der Schmerz auszuhalten. Als sie wieder zu Atem kam, betrachtete sie die Eiche. Sie
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