Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
ein. Und ich dachte immer, ich leide an Verfolgungswahn.«
Ihre Großmutter hielt ihr die Hand hin. »Los. Gehen wir weiter. Ich zeige dir die Stadt.« Sie lächelte Naomi an. »Das dort vorn ist das berühmte London Eye.« Leandras Stimme wurde lauter. »Siehst du das hohe Gebäude dort? Das ist das Southpark Center, dahinter die Waterloo Station. Wir wären also tatsächlich besser hier ausgestiegen.«
Naomi sah sich das Riesenrad an. »Du willst doch nicht wirklich jetzt eine Stadtführung mit mir machen, oder?«
»Wir müssen deiner Mutter doch was zu erzählen haben!«
Den Weg bis zur Waterloo Bridge legten sie schweigend zurück. Obwohl Leandra sie unbeschwert auf dieses und jenes aufmerksam machte, kostete es Naomi unglaubliche Selbstbeherrschung, sich nicht ständig umzudrehen, bis sie es kurz vor der Brücke nicht mehr aushielt. Ihr Blick suchte das Ufer ab, doch sie konnte nichts Auffälliges entdecken. Trotzdem ließ sie das Gefühl nicht los, verfolgt zu werden.
Naomi setzte sich auf die Kaimauer und zeigte mit dem Finger auf eine Häuserfront aus weißen Klinkersteinen, die imposant über den Eingängen der Geschäfte aufragte. »Was ist das für ein Palast? Ein Regierungsgebäude?« Nun konnte sie problemlos die Straße einsehen. Es eilten jedoch nur einige Fußgänger die Promenade entlang. Geschickt wichen sie den Touristen aus, die plötzlich stehen blieben, um sich irgendein Gebäude anzusehen.
»Das ist Sommerset House. Warum?«
Mit einem Satz sprang sie von der Mauererhöhung. »Das würde ich mir gerne mal ansehen, aber erst kommt der Tower dran.«
»Meine alten Knochen schaffen das nicht mehr.« Die Stirn in Falten gelegt, ging Leandra die Straße entlang. »Wir sollten ein Taxi anhalten, Kindchen.«
Die Hände in die Seiten gestemmt, ignorierte Naomi den Einwand. »Du hast mir doch eben eine Sightseeingtour versprochen.«
»Also gut, eine kleine Runde noch.« Mit einem tiefen Seufzer setzte Leandra einen Fuß vor den anderen. »Die große Tour holen wir nach, wenn ich bequeme Schuhe anhabe. Diese Absätze bringen mich um.«
Sie verließen die Victoria Embankment, spazierten zur Downing Street Number 10, wo sie durch das geschlossene Gittertor spähten, bevor sie den Weg zur Westminster Abbey einschlugen. Auch wenn Naomi die historischen Gebäude gerne besichtigt oder zumindest von außen betrachtet hätte, war ihr bewusst, dass der Aufenthalt in London keine Urlaubsreise war. Vielleicht bekäme sie später noch Gelegenheit für Besichtigungen.
Naomi bemerkte die langsamer werdenden Schritte ihrer Großmutter. Ohne die viktorianischen Häuser eines Blickes zu würdigen, schlurfte sie hinter Naomi her. Leandra benötigte dringend eine Pause. Ihr selbst brannten ebenfalls die Fußsohlen vom langen Gehen.
Naomi suchte nach einem Taxi. Mit einem Handzeichen brachte sie den Fahrer eines freien Wagens zum Halten. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Person wahr, die ein Handy hervorkramte, ein Gespräch entgegennahm und sich abwandte. Für einen kurzen Moment meinte sie, den Kerl aus der Anwaltskanzlei in ihm zu erkennen. Sie schüttelte den Kopf. Vermutlich sah sie Gespenster. Da der Mann ihr den Rücken zudrehte, war kein zweiter Blick möglich.
Durch die Heckscheibe versuchte sie, einen weiteren Blick auf ihn zu erhaschen. Er könnte in etwa so groß sein, wie der Typ in der Kanzlei, auch das kastanienfarbene Haar passte. Sein Gesicht erkannte sie beim besten Willen nicht.
Der Wagen entfernte sich, und sie sah nur noch, wie die Person mit dem Fuß aufstampfte und das Handy auf den Asphalt warf. Es zersprang in zwei Teile; ein weiteres Fußstampfen folgte, bevor er sich an die Stirn griff und hinter dem Taxi her starrte. Diesen Eindruck erweckte die Situation zumindest bei Naomi.
»Hast du den gesehen?«, fragte Naomi und warf einen verunsicherten Blick durch die Heckscheibe, als das Taxi an einer roten Ampel stoppte. Von dem Fremden war jedoch nichts mehr zu sehen. Hinter ihnen hielten weitere Fahrzeuge, unter anderem ein Transporter, der die Sicht auf die Stelle verdeckte, wo der junge Mann gestanden hatte.
Leandra folgte ihrem Blick. »Wen meinst du?«
»Schon gut, Oma.« Naomi kaute an ihrem Daumennagel. Die rote Ampel sprang auf grün um, und die Fahrt ging weiter.
Leandra zuckte nur mit den Schultern. »Geht’s dir nicht gut?«
»Doch Oma, alles bestens. Plündern wir bald das Schließfach?« Ein ungutes Gefühl drängte sie dazu, rasch zu handeln. Außerdem mussten sie
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