Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
mir das Gefühl gibt, dir nahe zu sein und dich an meinem Leben teilhaben zu lassen. Die nummerierten Briefe werden viel erklären, vielleicht sogar zu viel. Aus diesem Grund darf ich keine weiteren Informationen hinterlegen. Es wäre unser aller Tod, wenn die Unterlagen in die Hände unserer Feinde gelangten. Die Umschläge tausche ich regelmäßig aus.
Leandras Stimme war kaum wahrnehmbar. »Von wann ist der Brief?«, unterbrach Naomi ihre Großmutter.
Leandra drehte den Brief um und zog die Luft ein. »Das ist ...«
»Was?« Naomi griff danach und suchte nach dem Datum. Der Brief trug ein zwei Jahre altes Datum. Sie sah Leandra eindringlich an. »Deine Mutter ist am Leben!«
Leandra atmete schwer ein und aus, sank in sich zusammen und brach in Tränen aus. Ihr Kopf sank auf die Brust, während sich ihr Mund gleichzeitig zu einem Lächeln verzog. Naomi ging in die Knie, nahm Leandras Hände in die ihren. »Nicht weinen, alles wird gut. Wir finden sie. Da bin ich mir ganz sicher, Oma.«
Leandra sah auf. »Sie lebt ...«
Naomi setzte sich zu Füßen ihrer Großmutter. »Wir suchen sie. Und wir werden sie finden.« Sie streckte ihr das Schreiben entgegen. »Vielleicht erwähnt sie im Brief etwas, was uns weiterhilft.«
Leandra holte tief Atem und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich kann nicht ... lies du.«
Vermutlich hätte Naomi in dieser Situation selbst ebenso wenig den Mut weiterzulesen. All die Hoffnung, die eigene Mutter nach so vielen Jahren vielleicht wiederzusehen, lag in diesen Zeilen. Sie schlug die Beine übereinander und blieb im Schneidersitz vor ihr sitzen. »Soll ich wirklich?«
Leandra schwieg.
Naomi begann zu lesen.
Ich habe euch in Gefahr gebracht. Um euch zu schützen, musste ich gehen. Anthony, der mich in den Vollmondnächten manchmal begleitete, gab sich als mein Gefährte und Freund aus. Die anderen Clanmitglieder, es waren sehr wenige, misstrauten ihm, weil er nur kam, wenn ich alleine am Treffpunkt war. Ich entschuldigte dieses Verhalten mit seiner Arbeit. Er reise viel und könne aus diesem Grund nicht regelmäßig kommen. Ich vertraute ihm, doch er verriet jedes Wort an seinen Clan. Bis ich erfuhr, dass er dem Feind angehörte, war es zu spät. Der Clan plante, deinen Vater zu töten. Auch du solltest sterben, um zu verhindern, dass unsere Gene weiterverbreitet würden. Du warst noch so klein.
Doch du warst damals schon stark. Ich wusste, du würdest mein Verschwinden verkraften. Hätte ich dir gesagt, ich müsste gehen, damit du lebst, hättest du mich nicht gehen lassen. Du hättest geweint und gebettelt, und deinen Tränen konnte ich noch nie widerstehen. Ich wäre geblieben. Und hätte euch nicht so schützen können, wie ich es getan habe.
Ich tötete Anthony, der als Einziger von euch wusste. Früher oder später hätten die Clanmitglieder euch gefunden. Sie hätten mir aufgelauert, mich verfolgt und ich hätte sie direkt zu euch geführt. Du sollst nicht denken, ich hätte Anthony leichtfertig getötet. Ich gab ihm eine falsche Information über ein angebliches Clanmitglied, das kürzlich in unsere Gegend gezogen wäre. Es handelte sich dabei nur um den neuen Bäcker. Wir ließen Anthony überwachen und ertappten ihn, wie er diesen Bäckermeister ausspionierte. Es war eindeutig. Deine Mutter ist keine kaltblütige Mörderin. Ich habe getötet, ja – aber aus Notwehr. Die Strafe büße ich noch heute.
Bis ihr von Southampton nach London gezogen seid, war ich oft in eurer Nähe. Stolz verfolgte ich, wie du erwachsen wurdest. Meine Freude war übergroß, als sich herausstellte, dass du nicht so bist wie ich. Du würdest ein normales Leben führen. Dachte ich. Bis dein Mann umkam; doch das ist eine andere Geschichte. Lies die Umschläge bitte der Reihe nach.
In ewiger Liebe, deine Mutter.
Naomi wischte sich die Tränen von der Wange. Leandras zarter Körper schüttelte sich, und sie schluchzte hemmungslos. Besorgt sah Naomi zu ihr. Die laut ausgesprochenen Worte klangen in ihr nach: Du konntest ein normales Leben führen. Dachte ich. Bis dein Mann umkam. Was bedeutete das? War sein Sturz ins Hafenbecken damals doch kein Unfall gewesen? War ihr Großvater ein Opfer des feindlichen Clans?
»Ich habe es immer geahnt«, flüsterte sie. »Aber ...«
»... aber?«
»Ach, Luna war noch zu klein. Mit ihr konnte ich darüber nicht reden. Mein Vater war ein Jahr zuvor an einem Herzinfarkt gestorben und sonst ... sonst gab es niemanden. Und meine Freunde? Was
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