Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
Roman regte sich der Gedanke, dass Pilar diesen Vorschlag, trotz ihres Lachens, ernst gemeint haben könnte. Er grinste breit, um nichts sagen zu müssen. Ihm fiel beim besten Willen nichts Passendes ein.
Dreißig Minuten später erhielt Pilar von ihrem Vater die Bestätigung, dass er beide in spätestens einer Woche erwartete. Sie sollten den Flug auf seine Rechnung buchen und rechtzeitig Bescheid geben.
Roman saß auf dem Küchenstuhl und beobachtete Pilar, die keine Sekunde stillstand. Sie eilte vom Fenster zum Kühlschrank, um mit einer Cola in der Hand an den Computer zu stürzen und einen Flug herauszusuchen.
»Was hältst du von diesem hier? Er geht in zwei Tagen. Da du in einer Woche anfangen musst, hätten wir noch ein paar Tage Zeit, und ich zeige dir die Stadt.«
Normalerweise hasste es Roman, sich das Heft einfach aus der Hand nehmen zu lassen, doch in seinem jetzigen Zustand konnte er sich so viel überbordender Lebensfreude nicht erwehren. Roman nickte. Er fühlte sich schlicht überfordert und hoffte, dass er das Richtige tat.
*
Mit dem Brief in der Hand rannte Naomi ins Bad. Der plötzliche Würgereiz überfiel sie dermaßen überraschend, dass sie sofort losstürmte. Sie ließ das Papier zu Boden gleiten. Die Seite segelte unter das Waschbecken. Einige Tropfen vom Abflussrohr hatten genau an dieser Stelle eine kleine Pfütze gebildet und weichten das Papier auf.
Langsam ein- und ausatmen, betete sie sich mit geschlossenen Augen vor, bis sich ihr Magen beruhigte. Nach ein paar Atemzügen ließ das Würgegefühl in ihrer Kehle nach. Sie konzentrierte sich weiter auf ihre Atmung, bis der Reiz verging. Zaghaft stand sie auf. Wenigstens hatte sie sich nicht übergeben müssen.
Trotzdem spülte sie sich mit kaltem Wasser den Mund aus und wusch sich das Gesicht. Die nassen Hände legte sie sich in den Nacken. Das kühle Wasser tat gut. Nachdem sie sich besser fühlte, fiel ihr der Brief wieder ein. Wohin hatte sie ihn fallen lassen? Auf dem Boden sah sie ihn nicht. Vorsichtig ging sie in die Knie, um unter dem Waschbecken nachzusehen. Dort lag er. Eine Ecke war komplett aufgeweicht und die blaue Tinte schien verlaufen zu sein.
»Verdammter Mist!« Die Toilettenpapierrolle hing in Reichweite und mit einem Griff zog sie einen langen Streifen Papier ab, bevor sie sanft die verwischte Stelle abtupfte. »Das darf doch nicht wahr sein.« Hoffentlich konnte sie noch alles lesen. Die Schrift war zwar verschmiert, aber trotzdem noch lesbar. Glücklicherweise hatte Romina die Angewohnheit nur eine Blattseite zu beschreiben.
Naomi ging ins Schlafzimmer zurück, legte den Brief auf das Bett und öffnete das Fenster. Die ins Zimmer wehende Luft tat ihr gut. Tief atmete sie ein und aus. Nachdem sich auch ihr Magen wieder beruhigt hatte, legte sie sich aufs Bett und griff nach der Seite.
Besorgt sah ihre Großmutter sie an. »Geht´s wieder?«
Naomi nickte. »Lass uns weiterlesen.« Sie hielt die Seite gegen das Sonnenlicht. »Vielleicht sollte ich diese Stelle nachher abschreiben.«
»Das wird nicht nötig sein. Wir sollen die Briefe schließlich verbrennen.« Leandra ging auf das geöffnete Fenster zu und sah hinaus. »Lies. Auch wenn ich mir sicher bin, dass ich anschließend nochmals einen Schnaps brauchen werde.«
Mein liebes Kind, nun sind über fünf Jahre vergangen, aber ich weiß ja, dass du nicht auf meine Zeilen wartest. Daher macht es keinen Unterschied, ob ich dir jedes Jahr einen neuen Brief schreibe, oder die Geschehnisse zusammenfasse.
Um dort anzuknüpfen, wo ich bei meinem letzten Brief geendet habe, beginne ich mit der Nachricht, dass du einen Bruder hast. Da er bei Alonso und seiner Familie in Spanien aufwachsen wird, gaben wir ihm den Namen Iker. Natürlich suchten wir sofort nach seiner Geburt nach Anzeichen, die ihn als etwas Besonderes auszeichneten. Der Legende nach sollte er ja anders sein. Nur inwiefern? Auf uns wirkte er wie ein ganz gewöhnliches Kind. Iker konnte weder früher sprechen oder gehen, noch stellten wir sonstige außergewöhnliche Fähigkeiten fest. Vielleicht ist er etwas ruhiger, als andere Kinder in seinem Alter. Auch sieht er uns manchmal an, als ob er in unseren Gesichtern lesen könnte.
Einmal dachte ich, was er doch für ein Frechdachs ist, als er heimlich den Nachtisch von der Küchenanrichte noch vor dem Abendessen verputzt hatte. Und plötzlich kam er mit einem breiten Lächeln angerannt und warf sich in meine Arme. Es war, als wolle er
Weitere Kostenlose Bücher