Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
die Mitglieder in ein kleines Hotel, wo er Zimmer reserviert und ein Hinterzimmer für den kommenden Tag angemietet hatte. Ich nahm die Ankommenden in Empfang. Sie kamen teilweise von weit her, doch hatte sich letztlich nur ein klägliches Trüppchen von sechs Mitgliedern die Mühe gemacht zu kommen. Nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass ich die Einladung an mehr als dreißig Adressen versandt habe. Es war darauf sogar vermerkt, die Unterkunft sei bezahlt, weil ein entfernter Verwandter ihren Besuch wünschte. Es musste ein Grund gefunden werden, um die Reise zu rechtfertigen. Damit auch möglichst viele kämen, bestand George sogar darauf, Reisegeld beizulegen. Entsprechend enttäuscht kam er mit dem letzten Ankömmling in das Hotel zurück.
Bei einem gemeinsamen Abendessen im Hinterzimmer wurde das eigentliche Thema unseres Treffens ausgeklammert. Jeder war vorsichtig, und man beobachtete sich während des Essens über den Tellerrand hinweg. Erst als das Bier in Strömen floss, lockerte sich die Stimmung etwas auf, und jeder erzählte wenigstens, woher er kam.
Eine junge Frau war aus Irland angereist und erklärte schüchtern, sie sei unverheiratet, weil sie sich fürchte, einen verhängnisvollen Fehler zu begehen. Dann waren noch zwei Cousins aus Wales, die sich gegenseitig unterstützten. Eine alte Frau reiste aus Spanien an, weil sie sich um ihre zehnjährige Urenkelin sorgte, und George hatte alle Hände voll zu tun, das Gesprochene zu übersetzen. Die Frau war völlig verängstigt, weil sie kaum verstand, was im Raum vor sich ging.
Was sich als Glücksfall herausstellte, wenn man das nachfolgende wirklich als Glück bezeichnen möchte, war die Anreise eines Großvaters mit seinem Enkelsohn. Die beiden kamen aus Newcastle. Der alte Herr strahlte, trotz seines gebeugten Rückens, eine unglaubliche Ruhe und Zuversicht aus. Sogar die alte Spanierin schien sich etwas zu entspannen, als sich der alte Charles zu ihr setzte und sie die Bierkrüge aneinanderstießen.
Wir wussten alle, weswegen wir hier waren. Es war eine Mischung aus Neugierde, Angst, Suche nach Unterstützung und Hilfe, und ein wenig vielleicht, um mit dieser Last nicht mehr alleine dazustehen.
George war neben mir der Einzige, der nur an seinem Bier nippte. Er beobachtete die Anwesenden, als könnte er durch langes Beobachten in ihre Köpfe sehen und erkennen, ob sie es auch tatsächlich ehrlich meinten. Doch so etwas ist natürlich unmöglich.
Ich war mir sicher, dass es nur Freunde sein konnten. Bei Leuten, bei denen wir uns nicht sicher waren, ob es Freund oder Feind ist, haben wir auf die Einladungen verzichtet. Zu groß war die Furcht, bei diesem Treffen von Feinden überfallen und getötet zu werden.
Georges Sohn Alonso war nicht bei unserer Runde anwesend, wenn er auch im selben Hotel weilte und sich zähneknirschend in sein Zimmer einschließen ließ. George hatte seinen Sohn zu Gehorsam erzogen, und so saß er in diesem Zimmer und wartete auf die Rückkehr seines Vaters.
George hoffte immer noch, Alonso bliebe verschont, doch bin ich mir sicher, er wird sich bald verwandeln. Im Laufe der Jahre habe ich ein gutes Gespür dafür entwickelt. Trotzdem wäre Alonsos Anwesenheit in dieser Gruppe auf Widerstand gestoßen, weil es eben noch nicht geschehen war.
Am kommenden Morgen fanden wir uns alle wieder im Nebenzimmer ein. Die Meisten wussten ebenso wenig über unsere Herkunft, wie George oder ich. Nur dieser alte Mann, Charles, der mit seinem Enkelsohn angereist war, berichtete uns von einer Legende, die ihm, als er noch jung war, ein anderes Clanmitglied eines Nachts erzählt hatte. Dieser Legende nach sei es möglich, sieben Leben zu erlangen.
Naomi sprang vom Bett auf. »Kai hat davon erzählt.«
»Wovon?« Leandra knetete ihre Hände.
»Von den sieben Leben!« Naomi ging vor dem Bett auf und ab. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, den sie sich nicht erklären konnte. »Und auch davon, dass es eine Frau geben soll, die es geschafft hat, diese sieben Leben zu erhalten.« Naomi beobachtete, wie ihrer Großmutter jegliche Farbe aus dem Gesicht wich.
»Meine Mutter?«, flüsterte sie. Dann schüttelte sie den Kopf.
Naomi rieb sich mehrfach den Nacken. Denkbar wäre es. Das wäre eine Erklärung, warum sie ihr so problemlos im Wald davongelaufen war. Auch ihre unglaubliche Größe spräche dafür. »Lass uns weiterlesen.«
Charles erzählte, wenn zwei Wesen unserer Art miteinander schliefen und dabei eines noch
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