Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
Vom Netzwerk:
gewöhne mich doch lieber wieder an den Gedanken, daß Sie ein unerhört unreifes Früchtchen sind.«
»Wenn Sie es sagen«, sagte sie wieder. Dann kam sie zu ihm, stellte sich auf die Zehenspitzen, legte die Hand auf seine Schulter, zog seinen Kopf tiefer und drückte ihm einen whiskydurchtränkten Kuß auf die Wange. Er schob sie sanft von sich und nahm ihr kleines kaltes Gesicht zwischen seine Hände. »Louise, ich lasse Sie so nicht allein nach Hause gehen, ich fürchte, Sie haben einen anständigen Schwips. Haben Sie wirklich jemals Whisky getrunken?«
»N ... nein, eigentlich nicht. Nein, keinen Whisky. Manchmal ein Glas Wein oder Sekt.«
»Warum haben Sie das vorhin nicht gesagt? Ich habe Sie doch gefragt!«
»Das ... stimmt nicht ganz. Sie sagten, Sie vermuteten, ich sei an Whisky ebenso gewöhnt wie an Zigaretten ... ich rauche sehr gern, und ich kann mich aus der Ebenholzbox auf dem Kaminsims jederzeit bedienen, ohne daß es auffällt – Mutter achtet nur immer darauf, daß die Box gefüllt ist, für den Fall, daß Besucher rauchen möchten. Sie hat zu viel zu tun, um die Zigaretten zu zählen. Aber Whisky ist was anderes.«
»Nun, und?!« Er hielt ihre Schultern fest und schüttelte sie kurz.
»Na, ich wollte nicht wie ein Baby in Ihren Augen wirken.«
»Und da gössen Sie das Zeug in sich hinein!«
»Jetzt übertreiben Sie aber.«
»Louise –«
»Ich sehe Sie dann morgen.« Und sie duckte sich unter seinem Griff hervor, lächelte ihn an und marschierte sehr gerade den schmalen, stellenweise kaum erkennbaren Weg hinunter. Die Dunkelheit sog ihre schwarzgekleidete Gestalt bald auf, doch dann drehte sie sich noch einmal um, und er sah das schwache Leuchten ihres bloßen Gesichts und ihrer bloßen Hände, als sie auf etwas zeigte: »Mein Fahrrad!« hörte er, und dann drang durch die Stille der Nacht ein leises Lachen zu ihm. Wenig später sah er sie hügelabwärts schießen, vertraut und verbunden mit dem Rad, wie er es mit den Pferden war.
Nachdenklich hängte er sich seine Jacke über die Schulter, die sie ihm in die Hand gedrückt hatte.
    Vollmond.
    Nur in den milden und klaren Nächten des Hochsommers an einer Küste des nördlichen Europa besitzt der Vollmond diese warme Pracht, diese eigentümliche Tönung von rötlichem Gelb, das nur langsam von seinem wie rauchverhangen wirkenden Gesicht weicht, um der silbrigen Farbe der Mitternacht Raum zu geben. Dieser große gelbliche Mond zog mit majestätischer Ruhe über die Wipfel der Wälder und übergoß alles mit seinem milden rötlichen Licht. Eric trabte auf Gray Beard durch die stille Nacht, und als sie endlich die Stelle am Grenzzaun erreicht hatten, wo er gestern mit Louise gesessen hatte, hatte der Mond seine warme Tönung verloren und stand als kalt leuchtende Scheibe hoch am Himmel und ließ den dicken Draht aufblinken.
    Ein anstrengender Tag lag hinter ihm.
Am frühen Morgen hatte er herausgefunden, daß Solitaire nichts duldete, was sie drückte; sie war an der Longe auf dem Abreiteplatz so gut gegangen wie gestern am Halfterseil in der Koppel, bevor Edward auftauchte. Als er sie nach der Arbeit getrocknet und gestriegelt und dann versucht hatte, ihr eine Decke umzuschnallen, hatte sie wild ausgeschlagen. Sie hatte sich sofort wieder beruhigt, als es ihm gelungen war, sich ihr zu nähern und die Schnallen der Decke zu lösen. Es lag nicht an der Decke: die duldete sie ohne weiteres, ja, sie schien deren Wärme zu genießen. Möglicherweise lag ihre Gereiztheit aber auch daran, daß sie rossig war. Sein unruhiger Geist untersuchte eine Vielzahl von Möglichkeiten. Und nicht nur damit beschäftigte er sich. Heute waren die sechs Pferde eingetroffen, die er für Turner trainierte. Es waren keine Hengste unter ihnen, es waren vier Wallache und zwei Stuten, so daß sie gut auf Sunrise eingestellt werden konnten, ohne daß Schwierigkeiten mit Excalibur zu befürchten waren. Keines von ihnen hatte einen Unfall mit einem Schockerlebnis gehabt, wie etwa Lionheart oder Sir Lancelot. Sie brauchten vor allem Ruhe, viel Einfühlungsvermögen und Sanftheit, beim Training ebenso wie im Umgang mit ihnen im Stall und auf der Koppel. »Ein wenig verwildert« seien sie inzwischen wieder, hatte Turner gesagt. Sie waren es keineswegs, jedenfalls nicht in Erics Augen. Freudig hatten sie ihn begrüßt, geschmeidig und glatt waren sie unter ihm gegangen, doch der fremde Stall, die Vielzahl von neuen Eindrücken hatte sie zunächst sehr verunsichert und mitunter ein

Weitere Kostenlose Bücher