Im Schatten des Pferdemondes
er nicht schnell genug zu ihm gelangen. Dann war er heran, sprang in die Luft, preßte seine kräftigen Vorderpfoten gegen seine Schultern und versuchte, sein Gesicht zu lecken.
»Wolf!« Eric faßte den Hund um den Nacken und gab seinem Ansturm nach; sie purzelten auf die Erde. Der Hund war wie toll vor Freude. Doch plötzlich winselte er und sank nieder in eine Lähmung, wie Eric sie schon einmal erlebt hatte. Er rappelte sich auf. Diesmal würde er es herausfinden! Dieses Mal würde er das Geheimnis ergründen, das Wolfs Besitzern ermöglichte, ihn zu manipulieren.
Als dieser Gedanke durch seinen Kopf schoß, vernahm er ein Rauschen, wie Wind in Bäumen und Sträuchern es nie hervorbringen würde – das mußten sie sein! Sie mußten ja dasein, um das Tor zu öffnen ... und Juanita war wahrhaftig bereit gewesen, vor ihren unsichtbaren Augen ... Aber das Rauschen verriet, daß sie sich davongemacht hatten. Er prallte gegen Juanita, als sie den kurzen steilen Pfad erklomm. Er sah das kleine Gerät in ihrer Hand und entriß es ihr. »Was ist das?« fragte er.
»Wir ... er gehorcht so schlecht. Damit können wir ihn kontrollieren.«
Eric musterte das Ding. Es war ein Elektroschockgerät, das über sehr weite Distanzen reichte. Er begann zu verstehen. Kalt sah er sie an. »Sicher habt ihr auch eine dieser unhörbaren Hundepfeifen?«
»Für Menschen unhörbar. Ja. Hier ist sie.«
Bevor sie die Hand schließen konnte, hatte er die Pfeife mit einer raschen Bewegung an sich gebracht.
»Gib sie mir! Gib sie mir wieder! Es ist unsere einzige!«
»Das freut mich«, sagte er ruhig. Und er warf die Pfeife und das Elektroschockgerät in einem weiten Bogen in die tiefe Schwärze des Sees. Er lächelte kalt. »Und du sagst, ich sei grausam. Das ist schon fast ein Witz. – So also habt ihr ihn fortgerufen, als er bei mir war ... zuerst der Schock, und dann der Ruf mit der Hundepfeife.«
»Vater tut das, wenn er zu lange aus bleibt. Er ist nicht gern bei uns. Man muß ihn zwingen, zurückzukommen. Warum regst du dich überhaupt so auf? Es ist doch bloß ein Hund!«
Wolf saß auf den Hinterkeulen und schmiegte sich an ihn; er wußte genau, daß über ihn gesprochen wurde. Erics Hand reichte hinab und ruhte auf seinem Kopf. Die pelzige Rute klopfte hoffnungsvoll auf den Boden.
»Bloß ein Hund, ja?« Sie hätte keine ungeeignetere Wortwahl treffen können. »Bloß ein Hund, sagen Sie. Danke, Miss Cochan. Damit haben Sie alle noch offenen Fragen beantwortet.«
Er schwang sich auf das Pony. Ihre Schönheit ließ ihn nun kalt. Ihre demütigende Situation in der Familie ebenso: Sie achtete Tiere nicht. Ihm war übel. Ohne ein Wort wendete er das Pony von ihr fort. Wolf schien an seinem Bein zu kleben. Gray Beard trabte sofort an, ebenso bestrebt, von ihr fortzukommen. Ihr Ruf verhallte in der stillen Nacht hinter ihnen.
Nebel kam plötzlich auf. Er behinderte die Sicht und schlich sich mit feuchter Kühle in ihre Knochen. Sie alle zitterten am ganzen Leib, als sie endlich das dunkle, stille Cottage der Hickmans erreicht hatten. Claire und David fuhren hoch, als sie das Trappen der beschlagenen Hufe vernahmen. Sie sahen sich nach einem kurzen Blick durch das Fenster an. »Ich helfe Eric mit dem Pony«, sagte David und tastete nach seinem Morgenmantel. Claire nickte. »Ich koche ihm einen Kakao währenddessen. Wird ihm guttun nach einem langen Ritt in diesem Nebel.«
Der Nebel an der Westküste Schottlands ist nicht zu unterschätzen. Er kommt meist ohne Ankündigung. Des Morgens nennen ihn die kundigen Einwohner »haar« und wissen ihn als Verkünder eines schönen sonnigen Tages zu schätzen; doch wenn er sich in den silberblauen Stunden des Vollmonds erhebt, ist ungewiß, wie sich das Wetter entwickelt. Gewiß ist jedoch, daß er für die Milde des Klimas ungewöhnlich kalt ist.
Der eisige Nebel war den drei Ankömmlingen in die Knochen gekrochen. Das Pony erholte sich schnell. Es stand bald im Stall und kaute Heu, geborgen und warm unter einer dicken Decke, die David ihm umgelegt hatte.
»Sie sollten nicht auf sein.« Erics Stimme klang dünn. »Tut mir leid, daß wir Sie geweckt haben.«
Beinahe blind tappte Eric ins Bad. Vor der ins Schloß klappenden Tür ließ sich der Hund nieder, mit flachen Ohren und leise winselnd, wenn die Laute eines besonders üblen Würgeanfalls unter der Türritze zu hören waren. Eric hätte seine Seele erbrechen mögen. Immer wieder sah er Juanita mit dem kleinen Gerät und der Pfeife vor sich,
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