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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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drückte er die Kassette in den Rekorder. – Perfektes Timing, dachte er mit bitterer Selbstironie: Die Kassette lief an der Stelle mit »Bardolphs Tod« weiter; Elaines Begeisterung für die Musik zu Henry V. hatte ihn dazu veranlaßt, sich die Musikkassette zu besorgen. Die klagenden Töne bewegten den Kloß aus seinem Magen in die Kehle.
In der Sekunde, als seine Augen die Berührung von Alan Perths Hand unter Elaines Ellenbogen erfaßt hatten, war ein Messer in seinen innersten Kern gestoßen worden.
Er drehte den Zündschlüssel. Die Musik verstummte. Still saß er in der niederfallenden frühen Dämmerung. Vergessen. Vergessen. Wenn er doch nur alles vergessen könnte! Nun, er war selbst schuld. Er hatte ja darauf bestanden, die Konsequenzen zu tragen, gleichgültig, was geschähe. Nun hatte er seine Konsequenzen. Nur, daß er mit einer solchen Konstellation nicht gerechnet hatte. Wolf spürte seine Qual, winselte und kletterte auf seinen Schoß.
Eric streichelte ihn. »Kommst du«, sagte er schließlich und öffnete die Wagentür.
Bridgets Gesicht strahlte auf, als er mit Wolf eintrat. Eric ging sehr langsam, um nicht zu schwanken.
»Gee Guvnor, das ist schön, Sie sobald wiederzusehen. Es war wohl 'ne kurze Geburt?« Sie kicherte angesichts seiner starren Haltung, um ihn aufzulockern. Der Fall mußte hart gewesen sein. »Es ist bloß so 'ne Redensart. Was hatten Sie denn wirklich zu tun?« Als er näher kam, sah sie sein Gesicht und wurde ernst. Schwerfällig kroch er auf einen der hohen Barhocker. Sein Gesicht sah kalt und abwesend aus. Geradezu furchterregend.
»Bridget.«
»Ja?«
»Jetzt hätte ich gern einen Whisky. Einen doppelten.«
»Klar, geht aufs Haus, wie versprochen.«
Er war viel zu geistesabwesend für einen Widerspruch.

20

    Eine schmale Mondsichel schnitt ihren kalten Glanz in das Schwarz der still atmenden Winternacht. Unter ihrem silbrigen Schein schimmerte der Rauhreif eines leichten Frostes
    auf den Dächern von Sunrise. Solitaire lag auf einem dicken Strohbett in ihrer Box und horchte in sich hinein. Auf unbestimmte Weise wußte sie um die Veränderung, die mit ihr vorgegangen war. Sie wußte, daß etwas kommen würde. Sie spürte, daß es wuchs und daß es Behutsamkeit brauchte. Ihr Instinkt erlegte ihr ein Verhalten auf, das mit ihrem üblichen lebhaften Wesen nicht im Einklang stand: Sie ruhte viel, meistens im Liegen. Sie fraß das in ihre Krippe geschüttete Futter nicht auf einmal, sondern in kleinen Portionen. Wenn sie sich bewegte, tat sie es langsam und nahm nicht an den Tollereien der Reitstuten teil, wenn sie zum Weiden auf die Koppel hinausgelassen wurden. Sie sehnte sich auch nicht, wie sie es sonst getan hätte, nach der Weite des Hügellandes. Sie war mehr als zufrieden, im Stall und auf der Koppel zu leben und zu warten. Sie wartete mit sehr viel Geduld. Ihre Lider schlossen sich über diese ganz neue Sanftheit ihrer dunkelgoldenen Augen.
    Als habe sie unvermutet ein eisiger Regenguß getroffen, zuckte sie zusammen, warf den Kopf hoch und rollte sich auf die Brust. Die Furcht war wieder da. Über die Meilen der kommenden Zeit hinweg spürte sie intuitiv die drohende Gefahr. Sie sprang auf und hob die Vorderhufe gegen die Wand, so wie früher, wenn sie in Panik versucht hatte, daran hochzuklettern. Doch sie sank behutsam zurück auf alle viere, hob den Kopf und wieherte nach Eric. Sie hörte nicht auf. Im Haus ging Licht an.
    Emily hastete im Morgenmantel zu ihrer Box, und Grandpa rief die Hickmans an. Eric sagte: »Ich komme sofort!«
    Er quälte seinen kleinen Austin in Höchstgeschwindigkeit über die Strecke, doch völlig ruhig betrat er die Stallgasse und ging langsam auf Solitaires Box zu:
    Renne niemals auf ein Pferd zu, raunte Teds Stimme in seinem Kopf. Verstehst du mich – niemals! Sei vollkommen gelassen, gleichgültig, wie es in dir aussieht. Gleichgültig, in welcher Situation ihr euch befindet – ob es dich abgeworfen hat oder dir weggelaufen ist –, renne niemals, gleichgültig, wie gern du es tun würdest. Du weckst damit nur ihren Fluchtinstinkt. Und sie sind auf jeden Fall schneller als du.
    »Kleines Mädchen?«
    Solitaire drehte sich zu seiner Stimme und kam zu ihm. Schutzsuchend drückte sie ihren Kopf gegen ihn. Lange Zeit standen sie still voreinander.
    Sein Geist forschte sie aus und fand etwas wie düstere Schwaden ... wie unheilvollen Nebel.
»Es ist gut«, sagte er eindringlich. Ich achte auf dich, teilte er ihr stumm mit. Du mußt dich nicht

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