Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
Vom Netzwerk:
Gebieter, selbst der kalte blaue Himmel.
Eine Wärme gab es. Eine Quelle von Sanftheit und Ruhe in ihrer steigenden Panik. Leichte Hände und eine freundliche Stimme. Das war anders als die ihr aufgezwungenen Gewichte und die Gurte und das Schreien. Diese Stimme würde sie auch nicht des Nachts anschreien und ihre Ängste schüren wie die andere, nachdem sie entkommen war. Diese Stimme war wie ... früher, als es noch Wärme und Freude, Vergnügen – als es noch Licht in ihrem Leben gegeben hatte. Ein Hauch des fohlenhaften Vertrauens kam zu ihr zurück. Es gab einen Augenblick, da ihr Gedächtnis so weit zurückwanderte, daß sie vergaß, in welcher Lage sie sich befand, und unter die Oberfläche sank. Sie sank tief. Furcht um das nackte Leben packte sie. Und da war ein kräftiger Zug an ihrer Mähne, ein Kampf im Wasser um sie herum, eine Kraft, die sie nach oben zwang, zwei verschlungene Hände unter ihrer Kehle, die ihren Kopf über die glitzernde Oberfläche hielten, und eine weiche Stimme, die ein wenig atemlos murmelte: »Da habe ich dich tatsächlich buchstäblich an der Mähne herausgezogen aus deinem Sumpf. Hab jetzt keine Angst mehr, kleines Mädchen. Ich werd achtgeben auf dich.«
Sie ergab sich. Sie ließ zu, daß sich die Arme um ihren Hals legten, nicht, weil sie sich nicht wehren konnte, sondern weil sie es wollte und wünschte.

12

    Als Emily gesagt hatte, Solitaire sei ein Pferd, das mit Gold kaum aufzuwiegen sei, hatte sie nicht übertrieben. Im alten Orient töteten Könige für Pferde wie dieses oder ließen es auf eine
    Waagschale bringen und die andere mit Gold beschweren, bis das Gleichgewicht hergestellt war. Die Beduinen nahmen ihre liebsten Pferde mit in ihr Zelt und ließen ihnen eine Betreuung angedeihen, die sie ihren nächsten Blutsverwandten in Zeiten der Not verweigern mußten: Die Pferde erhielten das letzte Brot, die letzten Körner Hirse, und für sie wurde der letzte Tropfen Wasser aufgespart. »Trinker des Windes« nannten die Beduinen diese Pferde und priesen ihre physisch vollendete Harmonie und Intelligenz, ihre Schnelligkeit, ihren Mut, ihre Ausdauer und Treue in Sagen und Geschichten. Allah rief den Wüstenwind an seine Seite und sprach zu ihm, >Ich befehle dir, Gestalt anzunehmen!< – so wurde nach der Legende das arabische Pferd erschaffen.
    Als Solitaire, naß und keuchend, über den nachgiebigen Kies auf das feste Land watete, war sie für Eric das Sinnbild aller dem arabischen Pferd zugesprochenen Eigenschaften. Als sie wieder Boden unter den Hufen hatte, spreizte sie die Beine, schüttelte sich heftig das Wasser aus Fell und Langhaar und wehrte sich nicht, als er zu ihr sprach und sanft ihren Hals streichelte. Ihre großen verständigen Augen richteten sich zum Klang der Stimme. Ihre Ohren spielten, und ihre Nüstern waren weit und fragend. Sie ließ zu, daß er sie erforschte, und er fand die spiegelnden Wände eingestürzt.
    Wie Excalibur fragte sie, wer er sei. Und er konnte zu ihr gehen und ihr sehr leise, als sei es ein vertrauliches Bekenntnis, dieselbe Antwort geben, die er Excalibur gegeben hatte.
    »Eric!« Turners hohe magere Gestalt näherte sich langsam, um die Stute nicht zu erschrecken. Er mußte sich durch die triefenden Zuchtstuten schieben, aber er kam näher und strahlte über das ganze Gesicht. »Eine Glanzleistung nenne ich das! Wie heißt es doch – Gott hat in diesem Mann ein Wunder gewirkt, oder so ähnlich. – Wie bist du bloß auf diese grandiose Idee gekommen?!«
    Solitaire verhielt sich ruhig, als er sich näherte; Eric hatte nicht auf einen solchen Erfolg zu hoffen gewagt. Bestenfalls hatte er mit ihrer Annäherung gerechnet, aber nicht mit dieser Ruhe und Gleichmütigkeit, die sie jetzt an den Tag legte. Und sein feines Gefühl sagte ihm, daß dieses Kapitel noch nicht beendet war.
    Aber sie stand still, sie ließ sich von ihm und Turner berühren, scheute nicht, wenn sie sprachen. Eric streifte seine Kleidung über.
    Da zeigte sich, daß seine Skepsis begründet war. Als Edward sich den Weg zu ihnen bahnte, und näher kam, zuckten Solitaires Ohren, in ihre weitblickenden Augen trat der enge Ausdruck von Angst – als er sich auf vielleicht dreißig Fuß genähert hatte, bäumte sie sich auf. Es war dieses hohe Aufbäumen, in dem sich ihr graziöser Leib über Eric auf der Stallgasse gespannt hatte. Wie jedes normale Pferd wählte sie nicht den Angriff, sondern die Flucht – der nasse Kies kreischte unter ihren Hufen, und schon war

Weitere Kostenlose Bücher