Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
Vom Netzwerk:
sie davon. Wie ein Keil schob sie sich in die Masse der wartenden Herde und verhielt dort, schwer atmend. Sie wußte nicht, daß der einzigartige Kontrast ihres dunkelgrauen Fells und ihres silbrigen Langhaars sie leicht auffindbar machte. Aber sie wußte, daß Eric auf dem Rücken ihres Gebieters saß, der sie in die Richtung drängte, in der es Hafer und Heu gab. Sie war entkommen; in der warmen Masse anderer Stuten vergaß sie ihre Abwehr.
    Eric überwachte die Inbesitznahme des Stalles durch die Stuten; er ließ sie nur einzeln herein, und als Solitaire auf die Stallgasse kam, schloß er die Tür hinter ihr. Halbdunkel war um sie.
    Würde sie sich an das grausame ungleiche Gefecht erinnern, das sie einander hier geliefert hatten? Würde sie wieder verrückt spielen wie auf der Landzunge? Wenn sich Dr. Mercurys Befürchtungen jetzt bewahrheiten sollten – er war bereit. Ein rascher Blick hatte ihm versichert, daß die erste Boxentür geöffnet war, so daß er sich notfalls darin in Sicherheit bringen konnte, und außerdem war er heute nicht so wund und steif wie an jenem schwarzen Tag.
    »Kleines Mädchen?«
    Er fühlte keine Ablehnung. Sie war auf ihre Box zugegangen, unberührt von der Tatsache, daß die Stalltür hinter ihr geschlossen worden war; wäre sie gereizt und angstvoll gewesen, hätte sie dies alarmieren müssen. Aber sie blieb nur stehen und wandte ihm den Kopf zu.
    »Solitaire?«
Ein leises Schnauben.
Eric faßte das als Ermunterung auf und ging langsam,
    tastend, mit weit vorgestreckten Händen auf sie zu. Ihr Hals dehnte sich, und dann drehte sie sich zu ihm um – und kam ihm einen kleinen Schritt entgegen. Ihr Kopf glitt auf und nieder an ihm, sie untersuchte ihn von den Haarspitzen bis zu den Zehen, und manchmal schnüffelte sie dabei wie ein Hund. »Prinzessin, fällt Euer Urteil über mich.« Eine halb nervöse, halb kribbelige Lachlust begann sich in ihm zu regen und machte ihn albern. »Ist's gestattet, Euch zu berühren?«
    Er berührte ihr feines Gesicht, streichelte ihr das silberne Mondhaar zwischen den weit auseinanderstehenden Augen zusammen, verfolgte die zarten Linien ihres Kopfes mit den Fingerkuppen. Sie schien das ebenso gern zu haben wie Excalibur. Was war nur auf der Landzunge geschehen, das sie wieder scheu und angstvoll gemacht hatte? Jetzt war sie friedlich und sehr zugänglich. Vielleicht war sie wie manche menschliche Geistesgestörte – in einem Augenblick völlig normal erscheinend und im nächsten gewalttätig und unerreichbar. Aber er fühlte den ganz und gar ungestörten Einklang zwischen ihnen, diese unerklärliche Annäherung zweier Seelen. Er traute seinem Gefühl. »Du solltest dich jetzt ausruhen, Prinzessin, es war ein harter Tag.« Er drückte gegen ihre Schulter, und sie ging friedlich neben ihm her weiter auf ihre Box zu. Einmal stieß sie ihn auf dem kurzen Weg sogar sacht mit ihrem kleinen, samtigen Maul an, ein bißchen schüchtern. Sie konnte nicht wahnsinnig sein. Er fühlte den verzweifelt brennenden Wunsch, sie sei es nicht, und war sich bewußt, daß die Stärke seines Wunsches seine Gedanken und Empfindungen verbiegen und entstellen konnte
– er mußte achtsam sein. Denn wenn sie wirklich wahnsinnig war, dann würde niemand etwas daran ändern können.
    »Ich werde jetzt die anderen holen«, sagte er, und seine Stimme ,war wie ein leiser Gesang in ihren Ohren. Sie ging mit ihm zur Boxentür und blickte ihm dann durch die Gitterstäbe der Futtermulde nach.
    »Die anderen« waren nicht nur der Rest der Stuten, sondern auch Turner, Emily und Grandpa Fargus. Louise schlich sich unbemerkt hinter ihnen her, und als sie bemerkt wurde, gab es keinen, der sie auf ihr Zimmer schickte; alle waren viel zu gespannt. »Ich hätte gern, daß wir uns vor Solitaires Box herumtreiben – Sie wissen schon, uns unterhalten, ein bißchen hin und her gehen, sie gelegentlich streicheln, eben so, wie man sich in einem Stall verhält, wenn etwas ansteht ... sagen wir, eine Fuchsjagd.«
    Der Klang der Stimmen störte Solitaire nicht. Sie hatte ihren Hafer gefressen und fühlte sich behaglich. Genüßlich kaute sie ihr Heu und schob ab und zu den Kopf über die Tür oder die Krippe, und ein jeder konnte sie berühren.
    »Eric!« jubelte Emily schließlich nach mehreren glücklichen Versuchen, »was für ein Wunder haben Sie da vollbracht! Und in nur einem Tag! Ich dachte immer, daß es Ihnen gelingen würde, aber ich glaubte, Sie würden viel, viel, viel mehr Zeit

Weitere Kostenlose Bücher