Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
Vom Netzwerk:
kommen?«
    »Lance?« Eric blieb stehen, und der Hengst, der so dicht hinter ihm schritt, daß der Führstrick durchhing, tat es ihm nach. »Versuchen Sie's.«
    Billy legte seine Last ab, und Eric nahm den Strick kurz. »Kommen Sie, Billy. Reden Sie mit ihm.«
»Was soll ich denn sagen?«
»Wie sprechen Sie denn mit Ihren Pferden?«
»Oh, aye, verstehe, was Sie meinen.«
Sir Lancelot tat einen weiteren Schritt auf seine Heilung zu, als er Billy akzeptierte. Billy strahlte. Eric schob ihm den Führstrick in die Hand: »Wollen Sie ihn führen?«
»Wird er nicht ...?«
»Wir werden sehen. Ich bleibe auf seiner anderen Seite. – Nur keine Angst, Billy.«
»Oh – Angst hab ich nicht. Bloß – er ist so prächtig ... und meine Kleinen ...«
Meine Kleinen. So sprechen Menschen, die ihre Pferde achten und lieben und darum gut für sie sorgen; nicht, weil sie sich einen Profit von ihnen erhoffen.
»Lance ist nicht anders als Ihre Kleinen, Billy. Er braucht ganz dasselbe wie sie: freundliche, ruhige Zuwendung, artgerechte Haltung.«
»Aber er war doch ...«
»Völlig ausgekekst, meinen Sie? Oh ja, das war er. Und davor war er ein lenkbares, zutrauliches Pferd. Er ist auf dem besten Weg, es wieder zu werden. Lassen Sie sich nur nicht von der Tatsache seines Genies einschüchtern; Genies brauchen auch nicht mehr als Nicht-Genies. Sie kippen nur schneller, und benötigen dann mehr Hilfe als andere.«
Billy zwinkerte unruhig, nahm aber doch den Strick und sah zu Lance hoch. »Also, auch wenn du fliegen kannst, bist du eigentlich gar nicht anders als meine kleine Maudie. Aye, mein Junge, dann komm.« Er ging voran. Lance sog noch einmal seinen Geruch ein – und ein guter Geruch war es, von Hafer und Heu und ihm fremden Tieren, und der Geruch der kleinen, zotteligen Artgenossen, mit denen er den ganzen Tag spielerisch gebalgt oder geschäkert oder friedlich an ihrer Seite Gras gerupft hatte. Billys Geruch war für ihn der Inbegriff dieses neuen, urtümlichen Lebens, das er heute entdeckt hatte, und er folgte ihm willig zum Stall, wo Eric die Ausrüstung in die Sattelkammer trug. Als er zurückkam, hörte er, wie Billy mit Lance sprach. Als Billy Eric bemerkte, sagte er: »Wenn Sie eines meiner Ponys wollen, nehmen Sie am besten Gray Beard, der ist der größte und stärkste meiner Wallache. Sie wollen sicher nicht auf einer Stute nach Sunrise?«
    Sir Lancelot hatte Gray Beard schon auf der Koppel kennengelernt und folgte ihm, weil Eric auf ihm saß. Dennoch gab es eine unüberbrückbare Disharmonie: wenn Gray Beard drei seiner kurzen, stoßenden Trabschritte tat, brauchte Sir Lancelot nur einen einzigen, segelte demzufolge voraus und wurde unweigerlich vom Führstrick zurückgehalten. Im Galopp war es nicht besser: auf zwei seiner Sprünge kamen vier von Gray Beard. Außerdem war das Pony nicht gewohnt, über lange Distanzen zu galoppieren, und schon gar nicht bergauf.
    So sehr der große Hengst sich auch bemühte, seine langen Beine kurz treten zu lassen – wieder und wieder wurde er zurückgezogen, bis er schließlich ärgerlich wurde und mit dem Kopf zu schlagen begann.
    Ein anstrengender Ritt. Einmal zog er Eric fast von dem ungesattelten Ponyrücken. Sie hatten nicht den geraden Weg zu den Hickmans über die Dorfstraße genommen, sondern folgten den Trampelpfaden, die das Dorf umgingen; es war zu riskant, dachte Eric, mit dem noch immer schreckhaften Hengst mitten durch das Dorf zu reiten. Alles konnte geschehen: ein abrupt zu laut gestelltes Radio, ein plötzlich schreiendes Kind, ein herankommendes Auto, und – das schlimmste von allem – ein auf sie zustürzender, bellender Hund. Nein, er hatte keine Lust auf einen Teufelstanz mitten im Dorf. Aber zu dieser Art der Fortbewegung hatte er auch keine Lust. Kurz entschlossen löste er den Schnappverschluß an Lances Halfter. Als der Hengst merkte, daß er frei war, blieb er stehen, die Hufe fest in den Boden gestemmt, und schüttelte verdutzt den Kopf: keine Behinderung mehr! Seine Ohren spielten, er schob die Oberlippe hoch und sog dabei tief die Luft ein, wie Hengste es tun, wenn eine rossige Stute in der Nähe ist. Lance aber nahm in diesen Augenblicken die Witterung der verführerischsten aller Geliebten auf – die der Freiheit: Weite und Luft, Himmel und Erde, unbegrenzt von Zäunen, Stricken, Mauern!
    Eric war in Gray Beards stuckerndem Trab weitergeritten, den Hengst beständig über die Schulter beobachtend. Jetzt rief er nach ihm. Lance senkte den Kopf mit tief

Weitere Kostenlose Bücher