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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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Vertiefung mit Schatten anfüllte. Die alten Bäume zu beiden Seiten schienen ihnen mit ihren lichtüberschimmerten Blättern zuzuraunen, obgleich es nahezu windstill war. Eric fragte sich, welche Kraft sie dennoch bewegte, und mußte an Tolkiens Ents denken. In einer zauberischen Landschaft wie dieser war es leicht, der Einbildungskraft die Zügel schießen zu lassen und kaum wahrnehmbare Fabelwesen unter dem Dunkel der Bäume zu erspähen. Statt davon beunruhigt zu werden, regte es ihn an; schon als Kind hatte er das einzig richtige getan, wenn Schatten von Gegenständen – vermeintliche Gespenster – ihm Todesängste einjagten; er hatte sie als Freunde betrachtet. Die Schatten der hellen Mondnacht fürchtet nur der, der bereit ist, sich zu fürchten.
    Auf der Kuppe am Rand des Hügels hielt er sein Pony an, aus dessen warmem Fell Dampfwolken in die klare Nachtluft aufstiegen. Sein Blick schweifte über die weite Grasfläche – unter diesem Licht war sie ein Meer aus Silber, das hier und da kleine Kräusel und Wellen zeigte, unterbrochen von den schroffen Felsformationen, die bei Tage ganz gewöhnlich aussahen, doch jetzt wie Überbleibsel aus den Tagen wirkten, bevor das Christentum auch in dieses Land gekommen war: wie verwitterte Rudimente druidischer Altarsteine waren sie. Durch die Stille drang der ruhelose Laut des Atlantiks zu ihnen; dort hinten erstreckte sich, soweit das Auge reichte, das Wasser, schwarzer Widerschein des hohen nächtlichen Sommerhimmels, mit zahllosen zerbrochenen Reflexionen der Sterne, die die Wellen einander zuwarfen.
    Es war erregend, als ungesehener Besucher nachts nach Sunrise zu kommen. Er wußte, er würde nicht bemerkt werden, als er jetzt die Auffahrt hinunter und auf die Ställe zutrabte; in Sunrise-House waren nicht nur die Fenster des Salons gegen die Nacht und ihre Freuden und Schrecken abgeschottet. Aus jedem erleuchteten Fenster drang nur sehr gedämpftes Licht.
    Excalibur stand mitten auf der Koppel, ihnen zugewandt; er hatte ihr Kommen wahrscheinlich schon bemerkt, als Eric das Tor zu seinem Territorium geöffnet hatte.
    Der Mond bleichte sein Fell und ließ es silbrig glänzen. Als er auf sie zukam, zeichnete das Licht scharfe, wundersame Schatten zwischen die Rundungen seiner Muskeln, so daß er mehr denn je einer erlesenen, überlebensgroßen Statue glich. Doch sein Fell war warm, und das Maul, das begrüßend über Erics Wange strich, war weich wie Samt. Die dunklen Augen glänzten fragend.
    »Hallo, mein Junge.« Eric schmiegte sich an ihn und wurde sich eines augenblicklichen Mißbehagens bewußt – natürlich, er roch noch nach Lance. Und außerdem nach Wallach. Gray Beard hatte sich zitternd geweigert, die letzten Meter zur Koppel hin zurückzulegen, abgeschreckt von dieser überwältigenden Kraft, die ihm da entgegenpulste – von seinem Standpunkt aus war das da ein entschieden zu Heißblütiger, einer, der kämpfte um des Vergnügens willen, und der tötete, ohne sich zu besinnen.
    Excalibur überging nach einigem Wittern und Stampfen den abstoßenden Geruch seines Freundes und stieß ihn fragend an.
    »Ich wollte nachsehen, ob alles ruhig ist hier.« Eric ging dicht neben ihm quer über die Koppel, die Hand unter seine Mähne geschoben. Excaliburs Ohren spielten aufmerksam. »Scheint ja alles in Ordnung zu sein, aber ich will auch noch mal nach deinem Harem sehen, ehe ich rausreite. Ich werde das Gefühl nicht los, daß die Lösung für Solitaires Rätsel irgendwo da draußen liegt. Und ich habe auch eine Ahnung, wo ich suchen muß.« Der Hengst scharrte, als Eric sich anschickte, durch die Bohlen zu klettern, und sein Kopf wandte sich mit einer sprechenden Bewegung zu den Hügeln.
    »Du sehnst dich nach der Weite, ich weiß das. Halte noch eine kleine Weile aus, nur noch diese Nacht.« Er kletterte auf die unterste Bohle, damit er sich über den Zaun lehnen und Excaliburs Hals umfangen konnte. Aus der Wärme des Pferdekörpers strömte ihm das Verlangen entgegen, frei von Zäunen zu sein, seine Stuten um sich zu haben, und intuitiv erfaßte er Excaliburs Wunschbild: wäre Eric immer hier, dann würde Excalibur seine Herde stets nahe beim Haus halten, auf den weiten Grünflächen des Tals, allenfalls hinter dem ersten Hügel, so daß er Eric jeden Morgen begrüßen und seinen Anteil an Zärtlichkeit einheimsen konnte. Es war ein lockendes Bild. Es war eine dieser Versuchungen, die einen Menschen von dem Weg abbringen können, der zu seinem Traum

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