Im Schatten des Schloessli
drückte Kurt Bretscher Floras Hand. «Jetzt geh erst mal nach Hause und ruh dich aus. Hast du heute Nacht überhaupt geschlafen?»
Flora schüttelte den Kopf.
«Das hab ich befürchtet. Wie willst du die Sache mit Stephans Tod denn durchstehen, wenn du nicht nach dir schaust?»
«K-K-Kurt hat recht. W-w-wenn du willst, b-b-bringe ich dich heim und b-b-brüh dir einen Tee.»
« Porca miseria , du und kochen. Und dann ausgerechnet für Flora.»
«T-T-Tee aufbrühen kann ich. F-f-frag nur die Sonja.»
«Ich glaub’s einfach nicht. Flora ist mit den Nerven am Ende, und ihr zofft euch darüber, ob Alain Tee zubereiten kann oder nicht. Ihr seid mir eine schöne Hilfe.»
«Heim. Ach je.» In Floras Augenwinkeln glitzerte es erneut.
«M-m-muss schwer sein für dich, so allein in der Wohnung.»
Flora schluckte. «Das auch, aber das ist es nicht allein. Ich weiss einfach nicht, ob ich überhaupt dort bleiben kann.»
«A-a-aber warum denn nicht?»
«Die Wohnung gehört Stephan.»
« Porca miseria. Armes Ding. Vielleicht hat er ja ein Testament gemacht. Und überhaupt: Heute oder morgen stellen dich seine Verwandten bestimmt nicht auf die Strasse, weisch.»
Flora schwieg.
«Jetzt guck doch nicht so traurig, das bricht einem ja das Herz. Stephans Familie liebt dich bestimmt heiss und innig. Die kann gar nicht anders. Keiner von denen wird dich aus der Wohnung werfen.»
«Ach Kurt. Stephans Familie. Ich weiss doch nicht mal, ob er eine hat.»
VIERZEHN
«Am Mittwochabend gingen Sie also in der Altstadt spazieren.» Unverwandt schaute Geigy auf Johannes, der auf demselben Stuhl Platz genommen hatte wie knapp vierundzwanzig Stunden früher.
Von Johannes’ lässiger Haltung vom Vortag war nichts mehr zu sehen. Wachsam sass er da, die Achseln unnatürlich zu den Ohren hochgezogen.
«Und Sie bleiben dabei, Chris Morton nicht gesehen zu haben – weder unterhalb des ‹Schlössli› noch sonst wo?»
Schweigen.
«Warum sind Sie eigentlich so verkrampft? Wenn Sie Chris Morton am Mittwoch nicht begegnet sind, ist ja alles in bester Ordnung.»
Schweigen. Nicht einmal der obligate Bibelvers kam über Johannes’ Lippen.
«Etwas lässt mir allerdings keine Ruhe», fuhr Geigy fort. «Wenn es stimmt, was Sie sagen, und davon gehe ich aus, denn Sie als gläubiger Christ werden uns doch nicht belügen. Wenn Sie also die Wahrheit sagen, wie kommt dann die Haut von Chris Morton unter Ihre Fingernägel?»
Johannes’ linkes Augenlid zog sich mehrere Male krampfartig zusammen. «Der Herr ist mein Gott, und ich bin sein Knecht. ER hat schon weit Würdigere als mich geprüft», liess er sich endlich vernehmen.
Geigy lachte schallend, fasste sich aber sogleich wieder. «Ach Gottchen, Sie wollen doch nicht etwa den guten alten Hiob bemühen.»
«Treibe den Spötter fort, so geht der Zank hinaus, und Streit und Schande hören auf.»
«Wie gut, Sie sind fast wieder der Alte. Geniessen Sie Ihren Seelenfrieden, solange Sie ihn noch haben. Denn damit wir uns richtig verstehen, das Laborergebnis ist eindeutig: Die Wunde an Mortons Hals stammt von Ihnen. Ebenso eindeutig ist, dass Sie sie ihm nicht in grauer Vorzeit zugefügt haben, sondern kurz vor seinem Tod. Verdammt kurz vor seinem Tod sogar. Das allein würde einem weniger gottesfürchtigen Mann als Ihnen schon den Angstschweiss auf die Stirn treiben. Welche Qualen würde ein Normalsterblicher erst leiden, wenn die Polizei ihm nachweisen könnte, dass er das Opfer nicht nur am Mordtag verletzt, sondern es wiederholt bedroht hätte. Apropos drohen», Geigy hielt inne. Nicht die Spur eines Lächelns lag auf seinem Gesicht. «Der Staatsanwalt lässt in dieser Sekunde Ihren Computer einziehen und untersuchen. Im Gegensatz zu Ihrer Schwester hört Gott Sie offenbar nicht ohne Maschine. Vielleicht haben Sie den Laptop aber auch aus einem anderen Grund, als um mit Gott zu reden. Aber das werden wir ja bald erfahren. Sie wissen hoffentlich, was das bedeutet? So schnell kommen Sie hier nicht mehr raus. Jedes Zwangsmassnahmengericht der Welt würde die U-Haft unter diesen Umständen auf das Maximum verlängern. Und kommt es zum Prozess, muss der Richter erst noch geboren werden, der Sie für unschuldig hält.»
«Ich habe Chris Morton nicht umgebracht.»
«Angesichts der Beweislage sind diese sechs Worte allein mehr als nur dürftig.»
Johannes liess den Kopf sinken. «Gott ist mein Zeuge, ich habe Chris Morton nicht getötet.»
Geigy ächzte. «Vor Gericht wird Ihnen dessen Aussage
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