Im Schatten des Teebaums - Roman
zu tun. Was gibt es denn?«
»Ich habe wütende Stimmen in der Bar gehört, und dabei fiel auch Noahs Name.«
Marys Miene nahm einen anderen Ausdruck an. »Der arme Noah wird beschuldigt, Schafe gestohlen zu haben. Ich persönlich glaube nicht, dass er es war. Ich hoffe nur, er hält sich von der Stadt fern, bis die Wogen sich geglättet haben, denn wer weiß, was ein paar von den Raufbolden hier in der Gegend ihm antun würden.«
Eliza warf einen Blick durch die Hintertür ins Freie. »Ist mit Noahs Haus alles in Ordnung?« Die Ställe des Hotels behinderten die freie Sicht auf Noahs Behausung.
»Ja. Warum fragen Sie?«
»Ich dachte nur … wenn alle so wütend auf ihn sind, werden sie ihren Zorn vielleicht an seinem Eigentum auslassen.« Sie konnte Mary nicht anvertrauen, dass Noah krank vor Sorge um sein Haus und seine Gemälde war.
»Die Hütte gehört streng genommen zum Hotelgelände. Im Gegenzug für etwas Arbeit in den Ställen lassen wir Noah dort wohnen. Trotzdem würde Noahs Behausung – da haben Sie recht mit Ihrer Vermutung – jetzt nicht mehr stehen, hätten Ryan und ich den wütenden Mob nicht davon abgehalten, sie niederzubrennen.«
Eliza stockte der Atem. »Sie wollten die Hütte niederbrennen?« Noah hatte gesagt, der Mob sei aufgebracht gewesen, doch Eliza hatte nicht glauben wollen, dass ein paar Verrückte tatsächlich so weit gehen würden, sein Haus niederzubrennen.
»So ist es. Erst als wir ihnen damit drohten, die Bar auf unbestimmte Zeit zu schließen, haben sie sich beruhigt. Ein Artikel in der Zeitung, verfasst von Alistair McBride, hatte sie alle aufgestachelt«, stieß Mary hervor. »W enn Sie mich fragen, hat dieser Kerl sehr viel auf dem Gewissen. Der arme Noah ist nur knapp mit dem Leben davongekommen. Es wundert mich nicht, dass Sie offensichtlich gar nicht froh darüber sind, dass Ihre Schwester Umgang mit diesem Alistair hat.« Mary hatte ihn bitten wollen, das Hotel zu verlassen, doch Ryan war nicht damit einverstanden gewesen, da der junge Reporter ihnen eine anständige Miete bezahlte.
»Nach dem, was ich vor ein paar Augenblicken gehört habe«, sagte Eliza bedrückt, »sind die Männer noch immer wütend auf Noah.«
Mary nickte angewidert.
»Sind seit Erscheinen des Artikel in der Zeitung denn noch mehr Schafe verschwunden?«
»Nicht dass ich wüsste. Und damit fällt der Verdacht erst recht auf Noah, nicht wahr?« Auf einmal wirkte sie verängstigt. »Ich hoffe, Sie werden nicht auch noch einen Artikel über Noah schreiben. Geht es darum? «
»Natürlich nicht, Mary. Ich glaube ebenso wenig wie Sie, dass Noah ein Schafdieb ist.«
»W irklich?«
»Ja«, beharrte Eliza. Sie wollte herausfinden, was mit Noahs Gemälden los war, damit sie ihn beruhigen konnte. »Ich könnte mir vorstellen, dass Noah besorgt um seine Kunstwerke ist. Er hat mir erzählt, dass er sie an die Galerie in Mount Gambier verkauft. Ob sie in seiner Hütte sicher aufgehoben sind?«
»Nein. Deshalb haben Ryan und ich sie bei uns im Keller in sichere Verwahrung genommen. Aber behalten Sie das besser für sich. Es gibt ein paar rachsüchtige Leute in dieser Stadt.«
Eliza dachte an das Gemälde des Wolfs, das in Noahs Sessel versteckt war. Dieses Bild hatte Mary sicher nicht gefunden. »Das werde ich, Mary. Ich bin sicher, Noah wird Ihnen dankbar sein für das, was Sie für ihn getan haben.«
Ehe Mary etwas darauf erwidern konnte, hörten sie und Eliza, wie Ryan nach seiner Frau rief.
»W as will er denn jetzt schon wieder?«, murmelte Mary entnervt. »Das ist schon das x-te Mal, dass er mich heute ruft.« Sie schüttelte den Kopf. »Es gibt Tage, da kann er einfach nichts selbst erledigen«, sagte sie, während sie, vor sich hin murmelnd, ihre Schürze abnahm. »W enn das in diesem Tempo weitergeht, werde ich mit meiner Arbeit nie fertig.«
Nachdem Mary den Flur hinunter zur Bar gegangen war, kritzelte Eliza eine Notiz.
Liebe Katie,
ich weiß, dass Du wütend auf Tilly bist, aber sag Mom oder Dad nichts davon, dass ich bei ihr wohne. Anderenfalls würden sie erfahren, dass Du Dir ein Zimmer im Railway Hotel genommen hast und Deine Zeit in Gesellschaft eines Mannes von fragwürdigem Ruf verbringst …
Deine Eliza
Eliza faltete die Notiz zusammen und schob sie unter Katies Tür hindurch. Sie hoffte, dass sie sich klar genug ausgedrückt hatte. Gewissensbisse hatte sie jedenfalls kaum wegen dieser unterschwelligen Erpressung. Schließlich blieb ihr keine andere Wahl.
Auf
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