Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Schatten des Teebaums - Roman

Titel: Im Schatten des Teebaums - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran Sylvia Strasser Veronika Duenninger
Vom Netzwerk:

    Ein plötzliches Donnergrollen ließ Tilly zusammenzucken. Regen prasselte wie aus dem Nichts kommend auf sie nieder und riss sie in die Gegenwart zurück, rief ihr aber auch in Erinnerung, dass es an jenem verfluchten Tag geregnet hatte und dass die Straße voller Pfützen gewesen war. Tilly schauderte vor der Erinnerung ebenso wie vor der kalten Luft, die der Regen mit sich brachte.
    Sie schritt schneller aus, wusste aber, dass sie völlig durchnässt sein würde, wenn sie das Hanging Rocks Inn erreichte. Mit eingezogenem Kopf setzte sie einen Fuß vor den anderen, während sie versuchte, an etwas anderes zu denken als an den verhängnisvollen Tag, an dem sie von der Postkutsche in Millicent überfahren worden war. Doch es war unmöglich. Die Geräusche der Hufe und der Wagenräder wirkten wie Auslöser der Erinnerung; immer wieder schoss Tilly die gleiche Szene durch den Kopf.
    Sie und Henrietta waren auf der High Street in Millicent einkaufen gewesen. Sie hatten beschlossen, auf der anderen Straßenseite ein Café aufzusuchen, um Schutz vor dem Regen zu finden und eine Kanne heißen Tee zu trinken. Tilly entsann sich, wie sie am Straßenrand gestanden hatten, während sie darauf warteten, dass die Pferde und Kutschen vorbeifuhren, und ein hitziger Streit über ihre Beziehung zu Richard entbrannt war. Tillys Herz schlug heftig, als sie an die hässlichen Worte dachte, die damals gefallen waren, doch sie eilte weiter.
    »Bald bin ich zu Hause«, sagte sie laut vor sich hin.
    Doch das Bild dessen, was damals als Nächstes geschehen war, drängte sich Tilly immer wieder auf … Sie und Henrietta stritten noch immer, als sie vom Gehsteig traten. In diesem Moment sah Tilly die Räder der Postkutsche auf sich zukommen. Sie wollte sich von der Stelle bewegen, doch aus irgendeinem Grund blieb sie wie angewurzelt stehen. Auf einmal spürte sie Henriettas Hand. Sie erwartete, von ihrer Schwester zurückgerissen zu werden, weg von den heranrollenden Rädern, aber genau das geschah nicht …
    Stunden später war sie aus der Bewusstlosigkeit erwacht, den Kopf mit Verbänden umwickelt. Ein Arzt hatte ihr mit leiser Stimme gesagt, dass sie für den Rest ihrer Tage entstellt sei. Es war der schwärzeste Tag ihres Lebens gewesen.
    Tilly kniff die Augen zusammen und schrie so laut sie konnte. Sie schlug um sich, um die schrecklichen Bilder der Erinnerung aus ihrem Kopf zu verbannen. Dann brach sie schluchzend zusammen.
    »Matilda«, rief Brodie, »Matilda, was ist passiert?« Plötzlich stand Brodie neben ihr. Er sprang von seinem Pferd. »W as ist passiert?«, fragte er noch einmal.
    Er hob Tilly hoch und hielt sie in den Armen, so fest er konnte. Brodie hätte gar nicht fragen müssen. Er wusste instinktiv, dass sie den Tag noch einmal nacherlebte, an dem sie so grauenhaft entstellt worden war. Er hatte den Verdacht, dass sie den Schmerz viele Jahre in ihrem Innern verschlossen gehalten hatte.
    »W einen Sie«, sagte er sanft. »W einen Sie ruhig, Matilda.«
    Auch als Tillys Tränen nach einer Weile versiegten, hielt Brodie sie noch in den Armen. Matilda klammerte sich an ihn, ohne dass ihr bewusst war, wie verzweifelt sie sich danach sehnte, gehalten zu werden. Der Regen prasselte auf sie und Brodie nieder, aber sie spürte es nicht.
    Seit ihrem Unfall hatte Tilly niemanden mehr so nahe an sich herangelassen, weder körperlich noch gefühlsmäßig. Sie war Brodie dankbar für den Trost, den er ihr gab. Und nun wusste sie, dass sie sich nicht in ihm getäuscht hatte. Er war nicht der Lügner, für den Eliza ihn hielt.
    »Es geht schon wieder«, sagte Tilly nach einer Weile, bereit, ihren Weg fortzusetzen. »Aber sehen Sie uns bloß an. Wir sind völlig durchnässt.«
    Brodie reichte ihr ein Taschentuch. Tilly nahm es entgegen und wischte sich das Gesicht ab. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass ihr nasses Haar ihre Narben nicht verbergen konnte. Sie erschrak, doch Brodie war bereits damit beschäftigt, sein Pferd hinten an den Wagen zu binden, und bemerkte es nicht.
    »Ich bringe Sie nach Hause«, sagte er und half ihr hinauf.
    Tilly warf einen Blick hinunter auf die Wagenräder, während Brodie auf den Bock stieg. Seltsamerweise verspürte sie keine Angst mehr.
    Brodie nahm eine Decke von der Ladefläche und legte sie über ihre Schultern. Dann gab er Nell die Zügel frei und fuhr die Straße hinunter. Unaufhörlich geing der sintflutartige Regen auf das Land nieder.
    Als Tilly die Fassung wiedergewonnen hatte, schaute sie

Weitere Kostenlose Bücher