Im Schatten des Teebaums - Roman
zustande zu bringen, was ihr aber nicht gelang, weil sie fürchtete, Jock werde sie gleich von seinem Grundstück jagen.
»Seltsamer Beruf für eine Frau«, bemerkte er.
»Das kriege ich andauernd zu hören. Aber ich komme nun mal gern mit Menschen wie Ihnen zusammen«, schmeichelte sie. »Und mir gefällt der Gedanke, die Leute darüber zu informieren, was sich in ihrer Gegend alles tut.«
»Es bringt aber nichts, über den Tiger zu schreiben«, sagte Jock abweisend. »Gefunden wird er dadurch auch nicht.«
»Das sehe ich anders, Mr. Milligan. Ich glaube schon, dass ein Artikel über das Tier nützlich sein kann.«
»Inwiefern?«
»Sie wären überrascht, wie viele Leute sich erst dann melden und sagen, sie hätten eine Beobachtung gemacht, wenn sie gelesen haben, dass sie nicht die Einzigen sind.«
Jock kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. »W ollen Sie damit sagen, dass auch andere den Tiger gesehen haben könnten, sich aber scheuen, darüber zu sprechen?«
»Genauso ist es.«
»Hm, vielleicht haben Sie gar nicht so unrecht. Wer nicht mit eigenen Augen gesehen hat, wozu die Bestie fähig ist, glaubt es nicht.«
»Ich habe übrigens gerade mit Brodie Chandler gesprochen«, sagte Eliza.
»Dem Jäger, den wir angeheuert haben? Hat er schon irgendwelche Spuren entdeckt?«
»Ja. Er sagte, er hätte Kratzspuren an einem Baumstamm gefunden. Ich habe ihm vorgeschlagen, den Tiger lebend zu fangen und ihn dann in einen Zoo oder einen Zirkus zu bringen. Er war nicht sehr angetan von der Idee, was ja auch kein Wunder ist, weil er dann seine Arbeit verlieren würde, aber ein Zoo oder Zirkus würde für ein exotisches Tier sicher sehr gut bezahlen.«
Jock riss die Augen auf. »Meinen Sie wirklich?«
»Aber ja.« Eliza nickte heftig. »Außerdem wäre es humaner, den Tiger lebend zu fangen, anstatt ihn abzuknallen.«
Jock hörte kaum noch zu. Er hatte viele Schafe verloren und dadurch herbe Verluste erlitten. Er rechnete im Geiste kurz nach. Würde er einen guten Preis für den Tiger bekommen, könnte er seine Einbußen wettmachen und vielleicht sogar einen kleinen Gewinn erzielen. »W ie würde man es denn anstellen, den Tiger lebend zu fangen?«, fragte er und rieb sich das bärtige Kinn.
»T ja, das dürfte nicht ganz einfach sein«, gab Eliza zu. »Aber ich habe als Kind einmal eine Geschichte gelesen, die in Indien spielte. Ein Tiger bedrohte die Menschen eines Dorfes. Also hoben sie eine tiefe Grube aus, bedeckten sie mit Ästen, Zweigen und Laub und banden dann eine Ziege als Köder auf der anderen Seite der Grube an. Als der Tiger sich die Ziege holen wollte, fiel er in die Grube und saß in der Falle.«
»Das ist eine gute Idee!«, sagte Jock aufgeregt. »Und gar nicht schwer in die Tat umzusetzen. Das wäre einen Versuch wert.«
»Sind Sie denn sicher, dass es ein Tiger war, Mr. Milligan? Wie hat das Tier ausgesehen?«
»Ich konnte es im Nebel nicht richtig erkennen, es verschwand sofort wieder zwischen den Bäumen oben im letzten Pferch, aber ich habe nie zuvor ein ähnliches Tier gesehen. Es hatte einen langen Schwanz, einen langen Körper und einen sehr großen Kopf. Das Biest sah unglaublich stark aus. Mannie Boyd hat von einem lauten, drohenden Knurren berichtet, das die Bestie von sich gegeben hätte. Das kann nur ein Tiger gewesen sein.«
»Ja, das scheint mir auch so.« Eliza nickte, erfreut über seine Beschreibung.
»W enn ich wirklich einen Zirkus oder einen Zoo finden würde, der mir die Bestie abkauft, würde ich sofort anfangen, eine Grube auszuheben«, sagte Jock, der seine Begeisterung kaum noch zügeln konnte.
»Das dürfte kein Problem sein. Ein Tiger ist eine Seltenheit in diesem Land und deshalb eine besondere Attraktion«, versicherte Eliza ihm.
»Ja, das stimmt.« Jock hakte die Daumen unter den Latz seiner Hose, stieg dann die Verandatreppe hinunter und eilte entschlossen zur Scheune.
»W o wollen Sie denn hin?«, rief Eliza ihm nach.
»Meine Schaufel holen. Und dann suche ich nach einer geeigneten Stelle für die Grube!«
Eliza hätte jubeln können. Sie war ganz aufgeregt. Den Tiger lebend zu fangen würde eine fantastische Story abgeben. Ihr Chef würde stolz auf sie sein, da war sie sicher.
4
Tilly grub ein Beet im Gemüsegarten um, als Eliza zurückkam. Sie trug einen breitkrempigen Hut und eine warme Strickjacke über ihrem grauen Kleid. Sie schaute auf, als sie Eliza heranreiten sah, und beobachtete, wie sie aus dem Sattel glitt
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