Im Schatten des Teebaums - Roman
ihrer Eltern, als sie ihre Stelle bei der Border Watch angetreten hatte. Es war schon nach fünf, die Sonne ging bereits unter. In einer halben Stunde würde es dunkel sein. Eliza hatte angenommen, um diese Zeit längst wieder zu Hause zu sein, aber da hatte sie noch nichts von der Versammlung gewusst. Und eine solche Gelegenheit, Stoff für eine gute Story zu sammeln, konnte sie sich nicht entgehen lassen, das würde Tilly sicherlich verstehen. »Ehrlich gesagt ist mir nicht ganz wohl bei dem Gedanken, allein im Dunkeln zurückzureiten«, gestand sie.
»Ich würde Ihnen ja gern anbieten, bei mir zu übernachten, aber ich habe in meinem kleinen Haus leider keinen Platz für einen Gast«, sagte Sarah bedauernd.
»Das macht doch nichts«, erwiderte Eliza und nippte an ihrem Sherry. »T illy würde wahrscheinlich denken, der Tiger hätte mich gefressen, wenn ich nicht nach Hause komme, und tausend Ängste ausstehen.« Sie wollte Sarah gerade fragen, wann und wo sie den Tiger beobachtet hatte, als Bill Clifford laut um Ruhe bat.
Unbemerkt von Eliza schlüpfte Mannie Boyd in diesem Moment in die Bar. Er duckte sich hinter eine Gruppe von Männern.
Nach einer kurzen Begrüßung kam Bill Clifford gleich zur Sache. »W ie ich der Aufstellung über die gerissenen Tiere entnehme, sind in den letzten Tagen erhebliche Verluste entstanden.«
»Und was wird dagegen unternommen?«, rief jemand dazwischen.
Mit einem Seitenblick auf Brodie Chandler fuhr der Bürgermeister fort: »Nun, in Anbetracht der Landwirtschaftsausstellung und der zahlreichen Besucher, die wir erwarten, bleibt zu hoffen, dass der Tiger die Gegend hier vorläufig meiden wird, weil es ihm zu unruhig ist. Andererseits wird es dadurch natürlich schwieriger, ihn aufzustöbern, wie Mr. Chandler mir sagte. Ich muss Sie um Geduld bitten. Wir müssen abwarten. Etwas anderes können wir im Moment nicht tun.«
Unzufriedenes Raunen ging durch den Saal.
Alistair McBride sah Jock Milligan hereinkommen. Der Farmer hielt sich abseits von den anderen. Auch Eliza bemerkte ihn.
»Abwarten hilft uns nicht weiter«, rief ein Mann. Es war Fred Cameron, wie Eliza von Sarah erfuhr. »Die Bestie muss erlegt werden, so schnell wie möglich!«
Von allen Seiten brandete Beifall auf.
»Mein Hund war gestern stundenlang spurlos verschwunden. Als er endlich nach Hause kam, war sein Fell verfilzt und voller Erde«, fuhr Fred Cameron fort, als es wieder still im Saal geworden war. »Er zitterte am ganzen Leib und war völlig verstört. Ich nehme an, der Tiger hat ihn irgendwo in die Enge getrieben. Er kann von Glück sagen, dass er noch am Leben ist! Wir müssen endlich Nägel mit Köpfen machen und diese Bestie erledigen, bevor sie einen Menschen tötet!«
Zustimmende Rufe erklangen. Eliza spähte zu Jock Milligan hinüber, der ein verlegenes Gesicht machte. Auch Brodie Chandler warf Milligan einen viel sagenden Blick zu.
Als Bill Clifford dem Jäger das Wort erteilte und dieser sich anschickte, die Anwesenden über seine bisherige Arbeit und seine Entdeckungen zu informieren, gab Alistair McBride Mannie unauffällig ein Zeichen. Mannie nickte, kaufte sich noch schnell eine Flasche Schnaps für unterwegs und verließ das Hotel.
Die Stadt lag verlassen da in der hereinbrechenden Dämmerung. Mannie eilte als Erstes nach Hause, um seine Winchester zu holen. Dann machte er sich auf den Weg zu Jock Milligans Farm. Er war nervös, und jeder Schatten kam ihm bedrohlich vor. Alle paar Schritte nahm er einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Mannie beschloss, sich nur ein wenig umzusehen und dann nach Hause zu verschwinden. Auf keinen Fall würde er länger als unbedingt nötig auf Jocks Farm bleiben. Er hätte Rastus gern mitgenommen, doch seit seiner Begegnung mit der Bestie konnte man ihm nicht mehr trauen.
Es war dunkel, als Mannie die Zufahrt erreichte, die zu Jocks Haus führte. Da er bereits die halbe Flasche Schnaps geleert hatte, war seine Nervosität einer gewissen Benommenheit gewichen. Er holte tief Luft und stolperte den Weg hinauf zum Haus. Auf den ersten Blick und soweit er es im Dunkeln beurteilen konnte, war alles wie sonst. Zum Glück besaß Jock keinen Hund; er trieb seine Schafe vom Pferdrücken aus von einer Weide zur anderen. Und musste er einmal die ganze Herde zusammentreiben, lieh er sich die Hunde seiner Nachbarn dafür aus. Die anderen Farmer vermuteten, dass Jock sich aus Geiz keine eigenen Hunde anschaffte; schließlich mussten sie auch dann gefüttert
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