Im Schatten des Vaters
nirgendwo. Als er die halbe Strecke über den Kanal zur nächsten Insel zurückgelegt hatte, war es später Nachmittag, er zitterte unkontrolliert und sorgte sich um die Spritreserven und sorgte sich darum, wie Roy aussehen mochte, wenn sie endlich ankamen, und mit wem er zuerst reden müsste.
Zweimal hielt er, um Wasser abzupumpen, danach steuerte er die Küste an, sie war jetzt sein einziges Ziel, ihm war egal, ob sie heute noch weiterkamen. Er fühlte sich taub vor Kälte und konnte kaum denken. Er dachte, Wie weit ist es wohl, dann setzte sein Gehirn für eine Weile aus, danach überlegte er wieder, wie weit wohl die Küste entfernt war, und dann wurde ihm klar, dass die Unterkühlung einsetzte, dass er schleunigst an Land musste, um sich aufzuwärmen. Und er fragte sich, warum er nicht mehr Kleidung mitgenommen hatte und etwas, in dem er schlafen konnte, und etwas zu essen. Er hatte Hunger.
Als er anlegte, war die Sonne nahezu untergegangen, und Roy war durchgeweicht, und noch immer hatten sie niemanden angetroffen. Jim ging Holz sammeln, während Roy im Boot blieb, er wollte ein Feuer machen und schichtete die Zweige auf, die er gefunden hatte, aber das Holz war nass, und er hatte keine Streichhölzer, also fing er an zu weinen. Dann ging er zum Boot zurück und sagte, Entschuldigung, als er Roy aus dem Schlafsack schob und selbst in die nasse Hülle schlüpfte. Er versuchte, warm zu werden, und wachte in der Dunkelheit wieder auf, noch immer durchgefroren, aber irgendwie immer noch am Leben. Glück gehabt, dachte er, aber gleich darauf dachte er an Roy und stieg aus demSchlafsack, um ihn zu suchen, weil er fürchtete, Roy könnte angefressen oder gar weggeschleift worden sein, doch er fand ihn in der Nähe, er sah ziemlich genau so aus wie vorher, schwer zu sagen allerdings, weil er keine Taschenlampe hatte und Roy nur einen halben Kopf. Das klang komisch, Jim lachte kurz auf und fing wieder an zu weinen. Ach, Roy, sagte er. Was sollen wir bloß machen?
Jim schlief wieder ein, und am Morgen war Roy tatsächlich angefressen. Die Möwen kreisten noch, und Jim warf Steine nach ihnen, jagte sie so weit den Strand entlang, dass die ersten schon wieder bei Roy waren, als er zurückkehrte, und kleine Stücke von ihm stahlen.
Jim steckte Roy wieder in den Schlafsack, schnürte ihn zu und belud das Boot. Diesmal, sagte Jim. Diesmal finden wir jemanden.
Unterwegs hatte er Hunger und fror und hielt sich nur mit Mühe wach. Er sah weder Hütten noch Boote, pflügte aber weiter durch die Wellen, versuchte, sich umzusehen, versuchte, nicht zu denken, und dachte doch darüber nach, was er sagen würde. Ich weiß nicht, warum er das getan hat, sagte er im Geiste zu Elizabeth. Ich bin am Nachmittag von einem Spaziergang zurückgekommen, und da lag er. Es hat keine Anzeichen gegeben, keinen Hinweis. Ich hätte nicht gedacht, dass er zu so etwas fähig ist. Aber dann brach er wieder zusammen, weil es wirklich keine Anzeichen gegeben hatte und er wirklich nicht gedacht hatte, dass Roy zu so etwas fähig war. Roy war gut drauf gewesen, und sie hatten sich zwar hin und wieder gestritten, waren aber zurechtgekommen, und für das da gab es keinen Grund. Scheißkerl, sagte er laut. Das ist doch alles Wahnsinn.
Als er um eine weitere Landspitze herumfuhr, sah er in der Ferne ein Boot, das auf den nächsten Kanal zuhielt. Er schalteteden Motor aus und hantierte mit einer der Seenotfackeln herum, bis sie endlich zündete, hob sie hoch über den Kopf, wo sie orange rauchte und brannte und schwefelig stank, doch das Boot, irgendetwas Großes, irgendeine riesige Jacht mit hundert Idioten drauf, von denen einer garantiert in seine Richtung geblickt hatte, fuhr einfach weiter und verschwand hinter dem nächsten Küstenstreifen.
Jim fuhr weiter die Insel ab, mit vielleicht fünf Knoten, langsam und erneut gegen die Strömung, und fragte sich, wie vertraut er eigentlich mit dieser Gegend war. Er fragte sich, ob er womöglich weiter diese und andere Inseln abfuhr und am Ende ohne Sprit strandete, ohne jemanden anzutreffen. Möglich. So viele Menschen wohnen ja schließlich nicht hier draußen. Am späten Nachmittag jedoch, als er den letzten Sprit aus dem Reservekanister abgefüllt hatte, überzeugt, demnächst auf ewig mit leerem Tank umherzutreiben, entdeckte er auf der anderen Seite, in Richtung der Insel, auf der Roy und er wohnten, von der sie gekommen waren, ein Kajütboot. Von dort hätten sie es herbeiwinken können. Jim nahm noch
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