Im Schatten des Vaters
unter.
Um die Mittagszeit machte er Rast und aß etwas. Er setzte sich in den Schatten, obwohl die Sonne nur schwach durch einen Dunstschleier schien. Er sah keine Boote. Er hatte zu keinem Zeitpunkt Boote gesehen. Er fand es bemerkenswert, wie entlegen dieser Ort war. Er war ins Niemandsland gekommen und hatte das aus irgendeinem Grund für erstrebenswert gehalten; beim ersten Blick auf die Karte war ihm seine Hütte zu nah an Prince of Wales Island und den wenigen Städten an der Südwestküste erschienen, jetzt allerdings hätte er sich gern an diese Städte und die anderen kleinen Ortschaften auf den Nachbarinseln erinnert. Kolonien im Grunde, nur zwei, drei Häuser, praktisch ohne Straßen. Orte,die er immer verklärt hatte. Er hatte ein paar Familien gekannt, die so lebten, war in ihren eigenhändig erbauten Einraumhütten mit selbstgeschreinerten Kommoden und durch herabhängende Decken abgetrennten Schlafzimmern gewesen. Bärenfelle auf dem Boden und an den Wänden. Welcher Zauber wohnte diesen Orten inne? Was hatte die Wildnis an sich, dass ihm nichts anderes wirklich lebendig erschien? Es war völlig abwegig, denn er hatte es nicht gern unbequem und konnte nicht allein sein. Jeden Moment jedes Tages wollte er jemanden sehen. Er wollte eine Frau, irgendeine Frau. Landschaft bedeutete ihm nichts, wenn er sie allein betrachten musste.
Er packte seine Sachen zusammen und zog weiter. Binnen einer Stunde wich die Küste abrupt nach rechts zurück, und nun war er überzeugt, sich nicht auf einer großen Insel zu befinden. Als die Sonne unterging, sah er Rosa in den Wolken über dem Osten, der Blick nach Westen aber wurde durch den Wald versperrt.
Immer noch keiner, sagte er. Am Ende bringe ich den ganzen Winter hier zu.
Es wurde jede Nacht kälter. Mit dem warmen Wetter letzte Woche hatte er Glück gehabt, aber jetzt, das wusste er, würden Schnee und Regen zurückkehren. Er hatte nur seine warme Kleidung und die Decke bei sich. Bislang hatte das ausgereicht, doch bevor es zu kalt wurde, musste er jemanden finden oder zur Hütte zurück, wo er Roy gelassen hatte.
In dieser Nacht wachte er mehrmals zitternd vor Kälte auf. Im Traum wanderte er immer und immer im Kreis herum, und etwas war hinter ihm her. Am Morgen lag ein leichter Schneefilm auf den Bäumen, den der Nieselregen bis zum Mittag wegschmolz. Trotz seiner wasserdichten Jacke fühlte er sich kalt und durchnässt. Auf einem Baumstamm am Wasseraß er sein Mittagessen und dachte nach. Wenn sonst keiner auf der Insel war, musste er hierbleiben und warten. Bis zum späten Frühling, bis Mai wahrscheinlich oder Juni sogar, würden kaum Boote vorbeikommen, und die Leute, in deren Hütte er wohnte, wären nicht vor Juli oder August wieder da. Den Außenborder und das Funkgerät hatte er zerstört. Also würde er möglicherweise lange hier sein. Er fragte sich, ob sein Proviant ausreichte. Wahrscheinlich nicht, und er hatte weder sein Gewehr noch seine Angelausrüstung dabei. Zurück konnte er auch nicht, dorthin, wo Roy und er all die Vorräte eingelagert hatten.
Es war verrückt, wie viele Vorräte sie eingelagert hatten. Genügend, um eine kleine Kolonie durch den Winter zu bringen. Aber genau dazu hatte sich diese Reise für ihn entwickelt. Statt zu entspannen und seinen Sohn kennenzulernen, hatte er sich nur ums Überleben gesorgt. Und als endlich die Zeit gekommen war, mit dem Einlagern der Vorräte aufzuhören, hatte ihn Panik ergriffen; er wusste nicht, wie er sich die Zeit vertreiben, wie er den Winter überstehen sollte. Da hatte er angefangen, über Funk Rhoda anzurufen. Noch einen Monat, und er wäre abgereist, ganz bestimmt. Er hätte nicht bleiben können. Roy hatte geglaubt, dass sie bleiben würden.
Jim weinte wieder. Roy hatte gehen wollen, und er hatte ihn nicht gelassen. Er hatte ihn festgesetzt. Jim gab sich einen Ruck und stand auf. Er lief bis zur Abenddämmerung weiter und merkte erst dann, dass er gar nicht mehr Ausschau hielt, nur wanderte, ohne nach Booten oder Hütten zu suchen. Er glaubte nicht, dass er jemanden finden würde.
Diese Nacht war so kalt, dass er nicht schlafen konnte und stattdessen eine Art Bau zu errichten versuchte. Es war wieder pechschwarz, lichtlos, sodass er in der Dunkelheit genügendZweige, Farn und dergleichen ertasten musste, um darin schlafen zu können. Er häufte alles der Länge nach auf und schlüpfte vorsichtig hinein. So war es viel wärmer, allerdings dachte er beim Einschlafen an all die Käfer
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