Im Schatten des Verraeters
möchte. In
solchen Augenblicken muß ich hineingehen und einen Blick auf
meine Sammlung werfen, um mich erneut davon zu überzeugen,
daß das Leben noch lebenswert ist.«
»Ihre Sammlung?«
Van Horn nickte. »Ich zeige sie Ihnen, wenn Sie wollen.«
Er ging wieder voran hinein, schloß die Schiebetür und durchquerte den Raum.
Lomax hörte das Knacken eines
Schalters, aber auf das, was folgte, war er völlig unvorbereitet.
Auf jeder Seite erhellten sich plötzlich Vitrinen, jede mit ihrer
eigenen Beleuchtung versehen.
Aber es war ihr Inhalt, der ihn
veranlaßte, bewundernd nach Luft zu schnappen. Die Vitrinen
enthielten die prachtvollste Sammlung griechischer Keramik, die er je
erblickt hatte.
Van Horn trat neben ihn, sein Gesicht
hatte im Licht der Vitrine vor ihm etwas Geisterhaftes, so als ob es zu
keinem Körper gehöre. »Das alles hier ist über
hunderttausend Pfund wert - nach kommerziellen Maßstäben. In
Wirklichkeit sind einige der Stücke unbezahlbar.«
In seiner Stimme lag ein Unterton zusätzlicher Wärme.
Lomax ging von Vitrine zu Vitrine und betrachtete
voller Interesse ihren Inhalt. Schließlich blieb er vor einer
prachtvollen griechischen Weinamphore stehen, die rund einen Meter hoch
war - die roten und schwarzen Farben der Bemalung waren auch jetzt,
nach zweitausend Jahren, voll von Leben.
»Die kann doch nicht echt - und vollkommen erhalten sein!«
»Sie stammt aus einem Grab
unter dem Apollotempel auf Rhodos. Die griechische Regierung hat dort
unmittelbar vor dem Krieg Ausgrabungen vornehmen lassen.« Van
Horn grinste. »Rechtmäßig gehört sie nach Athen,
aber ich habe ein Arrangement mit dem unterbezahlten jungen
Regierungsbeamten getroffen, der sie gefunden hat.«
»Das ist eines der schönsten Dinge, die ich je gesehen habe«, sagte Lomax.
»Die Kunstfertigkeit des
Menschen, das ist es, was mir noch immer Hoffnung einflößt -
obwohl ich niemals begreifen werde, was man mit einem Teil des Zeugs,
das sie während der zwanziger und dreißiger Jahre
ausgebrütet haben und als Kunst bezeichnen, anfangen soll.«
»Andererseits sind einige von
diesen Stücken kaum salonfähig.« Lomax wies auf eine
Vitrine mit mehreren frühen kretischen Figurinen, zumeist
primitiven Abbildungen der Erdmutter.
»Stimmt.« Van Horn lachte leise.
Er knipste das Licht aus, und sie
kehrten durch den Korridor zurück in die Diele. Als sie die Treppe
hinaufstiegen, sagte Van Horn: »Ich weiß, wir haben nicht
viel Zeit, aber mit einigem Glück werden wir uns morgen früh
länger unterhalten können. Vermutlich können Sie ein
bißchen Schlaf brauchen.«
Er sagte gute Nacht, und Lomax ging
nach hinten in sein eigenes Zimmer und legte sich ins Bett.
Während er auf Boyds leisen Atem lauschte, ließ er sich die
Ereignisse des Abends durch den Kopf gehen.
Immer wieder kehrten seine Gedanken zu Katina Pavlo
zurück, er entsann sich, wie bleich und müde sie ausgesehen
hatte, bevor sie weggegangen war. Sein letzter bewußter Gedanke
war der an ihr in der Dunkelheit schimmerndes Gesicht - und das
Seltsame war, sie lächelte ihm zu.
8. Das ›Kleine Schiff‹
Es war kurz nach Mittag des
nächsten Tages, als Katina mit dem Wagen auf den Hauptplatz von
Kyros gefahren kam. Die Hakenkreuzfahne hing in der großen Hitze
wie ein schlaffer Lappen am Mast.
Lomax saß neben ihr, den
Rücken gegen den Stapel Feuerholz gelehnt, den sie aufgeladen
hatten, einen Fuß auf einer Deichsel, den anderen lässig hin
und her schwingend.
In der alten Matrosenjacke, den
rissigen Stiefeln und der schäbigen Tweedmütze, die sie ihm
gebracht hatte, sah er wie ein typischer Bauer von einem der
Berghöfe aus.
Katina hatte sich nach
Bäuerinnenart ein Tuch um den Kopf gebunden und trug ein
verblichenes Kattunkleid ohne Ärmel, wodurch ihre Arme sehr
dünn wirkten. Seit sie Van Horns Villa verlassen hatten, hatte sie
kaum ein Wort geäußert, aber ihre Augen waren klar, und ihr
Gesicht war von einer Frische, die verriet, daß sie gut
geschlafen hatte.
Sie hielt die Stute an, als eine
Gruppe Soldaten in Feldgrau ihren Weg überquerten, und Lomax
betrachtete sie mit professionellem Interesse.
»Alte Männer und
Knaben«, sagte er, als sie wieder anfuhren. »Sie haben
Griechenland und den Inseln seit Monaten nun ihre besten Truppen
entzogen. Das zumindest deutet darauf hin, wer den Krieg gewinnen
wird.«
Als sie zum Hafen kamen, beugte er
sich vor, um besser
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