Im Schatten des Verraeters
die Zeit für mich ohne Bedeutung ist, wenn ich hier in diesem Zimmer stehe. Man muß sich erst daran gewöhnen.«
Sie schien etwas sagen zu wollen, zögerte und wandte sich
dann mit leichtem Stirnrunzeln ab. Sie ging ihm voran hinaus in die Diele und dann den kühlen, weißgetünchten Korridor entlang, der zur Nordterrasse führte.
Der runde Glasraum war von diffusem Licht erfüllt, durchsichtige Gardinen waren als Filter gegen die starken Sonnenstrahlen halb zugezogen. Von Van Horn war nichts zu sehen, aber seine prachtvolle Sammlung griechischer Keramik war da; den Mittelpunkt bildete nach wie vor die großartige rotschwarze Amphore, abgesondert von allem übrigen auf ihrem Sockel mitten im Raum.
Lomax blieb stehen, um sie zu bewundern. Dann zog er die Brauen zusammen und trat näher. Die Oberfläche war bedeckt von einem Netzwerk feiner Linien. Seit er sie zuletzt gesehen hatte, war sie offensichtlich in Hunderte von Teilen zerbrochen worden, und jemand hatte sie kunstvoll wieder zusammengesetzt.
Hinter ihm waren Schritte zu hören, und Van Horn sagte: »Wenn es Sie interessiert, es hat mich über ein Jahr gekostet.«
Sein Gesicht schien ein bißchen dünner geworden zu sein, Haar und Oberlippenbart nun schlohweiß; aber die Augen in dem gebräunten Gesicht wirkten sehr blau. Und als Lomax die ihm hingestreckte Hand ergriff, war der Druck überraschend fest.
»Was ist passiert?« fragte er.
»Mit der Amphore?« Van Horn zuckte die Schultern. »Als die Deutschen kamen, um mich festzunehmen, wurden sie ein bißchen grob. Das Erstaunliche ist nur - als ich nach dem Krieg zurückkehrte, fand ich die Stücke in einer Kiste im Keller. In gewisser Weise war es eine gute Sache - sie wieder zusammenzusetzen gab mir während dieses ersten Jahres etwas zu tun. Ich mußte in allem langsamer treten.«
»Nach Fonchi?« fragte Lomax.
Van Horn nickte. »Gehen wir auf die Terrasse hinaus. Es ist
sehr angenehm dort, wenn der Abend kommt.«
Katina hatte sich still zurückgezogen, und Lomax folgte ihm nach draußen. Die Aussicht war atemberaubend, die Sonne versank wie ein orangeroter Riesenball im Meer, Kreta und seine Berge schimmerten weit in der Ferne in der flimmernden Hitze.
Lomax stützte sich auf die Balustrade und blickte hinab. Die Klippen fielen gut sechzig Meter tief ab in eine kleine, trichterförmige Bucht. Von dieser Höhe aus konnte er deutlich die vielen Schattierungen von Blau und Grün erkennen, die durch die dunklen Basaltriffe in verschiedener Höhe verursacht wurden. Eine Barkasse lag bewegungslos neben einer Mole, die von dem weißen Strand her hinausgebaut worden war.
Van Horn setzte sich in einen Segeltuchstuhl neben den Tisch, auf dem ein Tablett mit Eiswasser und mehrere Flaschen standen, daneben eine Reiseschreibmaschine.
Lomax hob ein paar Blatt Papier auf, die vom Wind heruntergeweht worden waren, und legte sie wieder auf den Tisch. »Ich glaube, ich habe seit langem nichts Neues mehr von Ihnen gelesen.«
»Mein Lieber, alles, was ich zu sagen hatte, das habe ich schon vor langer Zeit gesagt.« Van Horn goß Gin in zwei Gläser. »Wissen Sie, die Deutschen gaben uns zu verstehen, daß Sie tot seien. Daß das Boot, mit dem Sie nach Kreta gebracht werden sollten, nie angekommen sei. Was geschah damals wirklich?«
Lomax setzte sich und nahm eine Zigarette heraus. »Wir stießen auf ein griechisches Fischerboot, das dort, wo es war, nicht hätte sein sollen, und der Kapitän entschied sich für Nachforschungen. Zu seinem Pech stellte es sich heraus, daß es sich um einen Wolf im Schafspelz handelte. Es war das Boot des Geheimdienstes, das uns von Kyros abholen sollte, sobald wir unseren Auftrag erledigt hatten.«
»Das Landungsboot wurde also versenkt? Und was wurde hinterher aus Ihnen?«
»Der SBS-Kommandeur schickte mich so schnell wie nur möglich nach Alexandria. Meine Beine waren in ziemlich übler Verfassung, also wurde ich zur Spezialbehandlung sofort nach England gebracht. Erst Anfang 1945 war ich wieder für den aktiven Dienst tauglich. Zu diesem Zeitpunkt entwickelten sich die Dinge in Europa ziemlich schnell, und man kam zu dem Schluß, man könnte mich am besten in Deutschland gebrauchen.«
»Warum auch nicht?« sagte Van Horn. »Schließlich war die Ägäis nie mehr als ein Nebenschauplatz. Man unterzog sich nicht einmal der Mühe, Kreta einzunehmen. Als das Ende kam, ergaben sich die Deutschen einfach - so wie auf
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