Im Schatten des Verraeters
Unvergängliches, dessen Wurzeln tief in diesem alten Land gründeten, wie sie so dastand und sich die stolzen Rundungen ihres Körpers dunkel gegen den Himmel abhoben und das Meer orangerotes Feuer um ihre Schenkel spülte.
Sie wandte den Kopf und sah ihn. Der Hals wurde ihm trocken. Es war fast wie eine plötzliche Erkenntnis, wie ein Wunder, als ihm klarwurde, daß sie schön war.
Sie lächelte. »Sie und Oliver haben sich nicht lange unterhalten.«
»Warum hast du es mir nicht erzählt, Katina?« fragte er einfach.
Eine ganze Weile starrten sie einander nur an, dann watete sie aus dem Wasser und überquerte den Strand in Richtung einer kleinen Mulde, die von einem hufeisenförmigen Ring von Felsbrocken umgeben war. Ihre Schuhe und ein Handtuch lagen auf einer alten Reisedecke. Sie setzte sich und begann sich die Füße abzutrocknen.
Lomax ließ sich neben ihr nieder und zündete sich eine Zigarette an. Nach einer Weile streckte sie ihm die Hand hin. »Darf ich?«
Er gab ihr die Zigarette, ohne ein Wort zu sagen, und während sie rauchte, herrschte Schweigen.
Nach einiger Zeit seufzte sie und warf die Zigarette weg. »Was soll ich Ihnen denn sagen? Daß mein Leben ruiniert war? Daß jeder Tag eine einzige Qual war?«
»War es nicht so?«
»Es ist alles so lang her, daß es jemand anderem zugestoßen sein könnte«, sagte sie. »Wie dem auch sei, ich hatte Glück. Ich wurde nach zwei Monaten schwanger, und sie schickten mich weg, damit ich für mich selbst sorgte.«
»Und das Kind?«
»Ich hatte eine Fehlgeburt.« Sie zuckte die Schultern. »Es wäre ohnehin nicht am Leben geblieben. Damals ist halb Griechenland verhungert.«
»Es tut mir leid, Katina«, sagte er. »Wie sehr, wirst du dir niemals vorstellen können.«
»Aber es gibt dafür gar keinen Grund.«
»Nein? Erinnerst du dich, was Vater John damals im ›Kleinen Schiff‹ sagte? Daß Männer wie ich es immer anderen Leuten überließen, für unseren Ruhm zu zahlen? «
Sie schüttelte den Kopf und sagte mit Festigkeit: »Nur der Krieg war daran schuld. Ich habe Ihnen einmal gesagt, er sei ein böser Traum, und nichts, was geschähe, ergäbe irgendeinen Sinn.«
»Ein Traum, aus dem manche Leute niemals erwachen können.«
»Sie meinen meinen Onkel?« Sie seufzte. »Ja, leider hat er niemals vergessen können. Er ist zu viel allein und brütet vor sich hin.«
»Allein?«
»Auf dem Hof. Er hat ihn seit dem Krieg von mir gepachtet. Er hat es sich angewöhnt, im Verlauf der Jahre immer häufiger dort draußen zu sein. Das ist nicht gut für ihn.«
»Aber er muß doch sicher eine Haushälterin und Leute anstellen, die im Weinberg für ihn arbeiten.«
»Nur tagsüber. Nachts zieht er es vor, allein zu sein.«
»Was ist mit dem ›Kleinen Schiff‹?«
»Er hat Nikoli schon vor Jahren als Partner aufgenommen. Er und Dimitri Paros leiten es.«
Lomax runzelte die Stirn. »Warum Dimitri?«
Sie zuckte die Schultern. »Mein Onkel hat sich ihm gegenüber immer verantwortlich gefühlt. Sein Vater gehörte zu denjenigen, die in Fonchi umkamen.«
»Und alle hassen sie mich«, sagte er. »Alle außer dir. Warum, Katina? Warum ist das bei dir anders?«
Sie stand auf und sagte leichthin: »Aber Sie haben mir ja gar keinen Grund gegeben, Sie zu hassen.«
Sie stand da und blickte aufs Meer hinaus, während die Sonne allmählich am Horizont eintauchte. Lomax erhob sich ebenfalls und trat neben sie.
»Warum hast du nie geheiratet?« fragte er leise. »Ein Mädchen wie du muß doch Anträge bekommen haben.«
Sie wandte sich ihm sehr langsam zu, und in dem gespenstischen, orangefarbenen Licht, das das Meer reflektierte, hätte sie Helena sein können, die auf das brennende Troja blickt - und nie war sie schöner gewesen.
Ihre Augen waren dunkle, niemals ergründbare Teiche. Als sie seinen Namen flüsterte und einen Schritt vortrat, kamen sie zusammen, auf leichte und völlig selbstverständliche Art. Ihre Hände zogen seinen Kopf herab, während ihr Mund den seinen suchte, und dann hob er sie in den Armen hoch und legte sie zurück auf die Decke.
Sie weinte, ihr Gesicht war naß vor Tränen, das merkte er, und dann schien ein großer Sturm sie zu ergreifen und sie ans andere End e der Zeit zu tragen.
Als sie durch den Garten zum Haus hinübergingen, wanderten sie Hand in Hand wie Kinder. Katinas Leinenkleid war völlig zerknittert und
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