Im Schatten des Verrats (Hazel-Roman) (German Edition)
auf das Wachs und nahm das Papier mit nach London. Aber als ich dann vorgestern über seinen Tod informiert worden bin und sein Testament öffnete, war es nur ein leerer Bogen."
"Leer? Wie ist das möglich?"
"Ich weiß es nicht. Ich kann mir eigentlich nur denken, dass es unterwegs vertauscht wurde. Es war ja nicht hier in London, sondern in Stratford, einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Mayfanhair. Leutnant Shandelton hat mich eigens rufen lassen. Ich bin der Anwalt seiner Familie."
"Haben Sie denn unterwegs angehalten? In einem Gasthof, einer Poststation?", erkundigte sie sich.
"Nein, eben nicht, und das Siegel war noch völlig in Ordnung."
Hazel stutzte. " Mayfanhair ?", fragte sie, denn erst jetzt war dieser Name in ihr Bewusstsein gedrungen. "Ist der Marquis of Wainwright von diesem Vorfall unterrichtet worden?"
"Ja, natürlich", antwortete Mr. Haggerty, "er war ja mit dabei. So wie ich es verstanden habe, war er es, der Leutnant Shandelton veranlasst hatte, das Testament abzufassen."
Auf diese Weise war Kirby also auf Leutnant Shandelton gekommen ...
"Wissen Sie, wie es zu der Verletzung kam?"
"Das konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Nur so viel seien Sie versichert: dass es kein militärischer Einsatz war, bei dem ihm diese Wunde zugefügt worden ist."
Leutnant Shandelton kommt tödlich verletzt zu Kirby, der ihn drängt, ein Testament zu schreiben. Es wird notariell beglaubigt und versiegelt, verschwindet aber unterwegs, ohne dass das Siegel angetastet wird ... Was sollte sie von all dem halten? Wer könnte ein Interesse daran haben, das Testament verschwinden zu lassen? Verflixt! Wenn man nur wüsste, um was es im Testament ging ...
"Haben Sie denn eine ungefähre Vorstellung von dem, was im Testament drin gestanden haben könnte? So viel ich weiß, hatte er doch kein Vermögen mehr."
"Nein, da haben Sie wohl Recht. Er hat sein kleines Vermögen auf leichtfertige Weise verspielt. - Es tut mir so Leid, Ihnen keine bessere Nachricht geben zu können."
"Selbst wenn er noch Vermögen gehabt hätte - das hätte seinem Sohn zugestanden, nicht mir", meinte Hazel.
"Sie sind so tapfer!", sagte Mr. Haggerty beeindruckt.
Hazel errötete verlegen. "Um auf das Siegel zurückzukommen", begann sie, um das Thema zu wechseln, "wenn es in London noch unversehrt war und sie auf der Rückreise keine Zwischenstation gemacht haben, dann hieße das ja, dass das Testament noch in Stratford vertauscht worden sein muss."
"Ja, der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Aber da es mein eigener Siegelring war, müsste eine Person, die im Raum anwesend war, den Tausch vorgenommen haben und mir zum Siegeln bereits den leeren Bogen vorgelegt haben."
"Der Marquis of Wainwright ...", flüsterte Hazel entsetzt. "Sie denken, er hat die Papiere vertauscht?"
Er räusperte sich verlegen. "Meine Position verbietet mir, so etwas zu denken", meinte er, nur um gleich darauf vorsichtig hinzuzufügen: "Glauben Sie, ihm ist so etwas zuzutrauen?"
"Meine Position verbietet mir auch, so etwas zu denken", erwiderte Hazel blass. "Hatte er denn Gelegenheit dazu? Was ist mit seinem Burschen, der das Testament unterschrieben hat? Erzählen Sie mir, was damals passiert ist!"
"Ich kam in das Krankenzimmer. Leutnant Shandelton schrieb bereits an seinem Testament. Es bereitete ihm große Mühe, da er im aufrechten Sitzen große Schmerzen hatte. Er bat mich, auf einem bereitstehenden Stuhl zu warten. Anwesend war zu diesem Zeitpunkt nur Shandeltons Offiziersbursche, aber noch während Shandelton schrieb, kam der Marquis of Wainwright hinzu. Shandelton war bald fertig, reichte das Blatt an seine Lordschaft weiter, der neben ihm am Bett stand. Der Marquis überflog das Blatt, faltete es zusammen und legte es mir auf den Tisch, so dass ich das Siegel draufsetzen konnte.
"Er hat es gelesen?", fragte Hazel erstaunt. "Ja, dann fragen Sie doch ihn , was darin gestanden hat."
"Das habe ich ja bereits", gestand Mr. Haggerty.
"Ja – und?"
"Der Marquis sagt, er könne sich die leere Seite auch nicht erklären. Er habe mir doch das Testament zum Siegeln gegeben. Es habe das Übliche dringestanden, Leutnant Shandelton sei im Glauben gewesen, noch über etliche Pfund zu verfügen, die er für seinen Sohn und seine Verlobte – also Sie - gesichert wissen wollte. Außerdem habe er einige persönliche Dinge an Freunde weitergeben wollen, eine Taschenuhr, eine silberne Schnupftabaksdose ... Dinge in der Art. Und er habe ihn, Kirby, gebeten, dafür
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