Im Schatten des Verrats (Hazel-Roman) (German Edition)
geschrieben hatte. Vor lauter Anprobe hatte sie vergessen, ihn auf dem Weg einem Boten zu übergeben. Also schickte sie die Zofe mit ihrer neuen Errungenschaft allein nach oben und machte sich, da der Kutscher bereits eben um die Ecke in Richtung der Stallungen verschwunden war, auf, um zu Fuß zwei oder drei Straßen weiter zu gehen und dort den Brief einem der Briefboten zu geben.
Sie war höchstens ein Haus weitergekommen, da trat ein Mann von der Seite her auf sie zu. "Mrs. Shandelton?", fragte er leise.
Hazel zuckte zu Tode erschrocken zurück und beschleunigte ihren Schritt.
"Warten Sie!", rief er halblaut und eilte neben ihr her. "Bitte hören Sie mich an!"
Der Mann wirkte völlig ehrbar und da er nicht weiter zudringlich wurde, blieb Hazel zögernd stehen. "Wer sind Sie?", stieß sie beunruhigt hervor. "Was wollen Sie?"
"Es tut mir Leid, dass ich gezwungen bin, Sie auf der Straße anzusprechen. Ich bin Notar - und auf der Suche nach dem Testament Ihres Mannes."
Hazel blickte ihn entgeistert an. "Testament?", entgegnete sie fassungslos. "Es gibt kein Testament. Er ist gestorben, ohne noch in der Lage zu sein, eins zu verfassen."
Der Mann lächelte. "Sie meinen vielleicht die letzten Lebensstunden", mutmaßte er. "Ich bin aber in meiner Eigenschaft als Notar gut eine Woche vor seinem Tod gerufen worden. Er war damals bereits schwer verletzt und wusste, dass er sterben würde."
Hazel fühlte, wie die Erinnerung an das Erlebnis in Leutnant Shandeltons Sterbezimmer die Tränen in ihr aufsteigen ließ. "Herr im Himmel!", flüsterte sie bewegt.
"Ich möchte das alles nicht hier auf der Straße besprechen", meinte der Mann diskret. "Wenn Sie die Güte hätten, mit in meine Amtsstube zu kommen ... Mit einer Droschke sind wir in ein paar Minuten dort."
Hazel starrte ihn mit aufkeimendem Misstrauen an. "Auf offener Straße tritt ein wildfremder Mann auf mich zu und fordert mich unter einem weit hergeholten Vorwand auf, mit ihm in eine Droschke zu steigen", entgegnete sie kühl, "für wie naiv halten Sie mich?" Empört wandte sie sich ab und ging raschen Schrittes davon.
Schon nach wenigen Metern hatte sie ihn wieder an seiner Seite. Er hatte seinen Hut abgenommen, hielt ihn mit beiden Händen vor seinen Bauch gedrückt und versuchte auf gleicher Höhe mit ihr zu bleiben. Da Hazel aber, stur geradeausblickend, mit forschem Schritt zügig voraneilte und er versuchte, sie von vorne anzusprechen, aber noch entgegenkommenden Passanten ausweichen musste, hatte er Mühe mitzukommen und stolperte schließlich in einer Art Hoppeln und Hopsen neben ihr her. "Bitte!", flehte er eindringlich. "In dem Testament geht es, ich schwöre es Ihnen, um höhere Interessen! Und es war nicht einfach für mich, Sie endlich zu finden!"
Hazel stutzte. Genau das war der Punkt. Heftig wandte sie sich ihm zu. "Woher wissen Sie überhaupt, wer ich bin?", fragte sie giftig.
"Der Bischof von London hat mir einen Tipp gegeben", antwortete der Mann. "Und da Sie nicht zu Hause waren und Ihr Mädchen mich nicht einlassen wollte, habe ich auf der Straße gewartet."
"Der Bischof?", erwiderte Hazel entgeistert. Plötzlich dämmerte es ihr. " Sie sind Mr. Heatherby?", fragte sie.
"Haggerty", verbesserte er. "Horatio Haggerty. Notar und Anwalt."
Ihr Misstrauen war noch nicht so weit gewichen, dass sie ihn zu sich in die Wohnung einladen mochte. Hazel blickte sich um. Die Straße war einigermaßen belebt, aber ein Stück weiter vorn begannen die Queen’s Gardens, in denen man zwischen Rasenflächen und Blumenbeeten vielleicht mit etwas mehr Ruhe auf- und abschreiten konnte. Mr. Haggerty war mit diesem Vorschlag einverstanden und so betraten sie nach kurzer Zeit den umzäunten Park.
"Der Bischof hat mich darauf vorbereitet, dass Sie auf mich zukommen würden", erklärte sie, "hätten Sie gleich Ihren Namen genannt, hätte ich eher Bescheid gewusst. Was hat es mit diesem Testament denn nun genauer auf sich?"
"Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich weiß selbst nicht genau, was darin steht, ich bin vielmehr auf Vermutungen angewiesen, denn ich durfte es nicht lesen. Ihrem Gatten war nur daran gelegen, dass das Papier in meinem Notariat ordnungsgemäß hinterlegt würde. Ich war anwesend, als er es geschrieben hat, es war eine volle Seite lang. Er hat es eigenhändig unterschrieben und mich sowie seinen Burschen gebeten, als Zeugen zu unterzeichnen.
Ich machte auf das Papier mein Zeichen, verschloss es mit Siegellack, drückte auch mein Siegel
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