Im Schatten des Verrats (Hazel-Roman) (German Edition)
musterte seine Schwester von der Seite. "Allmählich wird mir Matthew Hawthorne unheimlich", sagte er.
Die Droschke fuhr vor. Hazel öffnete Jeremy die Tür und half ihm beim Einsteigen, schob den Rocksaum in den Wagen und schloss den Schlag. Sie ging um den Wagen herum, nannte dem Kutscher die Adresse und stieg auf der anderen Seite ein.
"Stell dir vor, Lady Arabell hat mich eingeladen, mit zu einer Modenschau zu gehen", verkündete Jeremy.
"Was für eine Modenschau?"
"Madame Delacroix führt den angesagtesten Modesalon in London. Sie hat die neuen Pariser Modelle erhalten und die hübschesten Mädchen von ganz England führen sie in Madames Modesalon vor. Es ist das Modeereignis der Saison, alle Damen der vornehmen Gesellschaft, die etwas auf sich halten, gehen da hin."
"Und was willst du dort?", spöttelte Hazel.
"Mir die hübschen Mädchen ansehen, natürlich", grinste er. "Und Lady Arabell hat gesagt, ich soll dich mitbringen – Matthew."
"Wozu das denn?"
"Alle Damen lassen sich von Herren begleiten. Glaub mir, es ist wirklich ein echtes gesellschaftliches Ereignis. Man trinkt Champagner und isst weiße Trauben ..."
"So ein Quatsch. Weiße Trauben um diese Jahreszeit."
Jeremy runzelte die Stirn. "Das habe ich jedenfalls so verstanden. Hoffentlich sind es nicht weiße Tauben ", überlegte er. "Obwohl ... gerupft müssen sie doch wohl sein?"
"Mama, hast du schon mal was von Madame Delacroix‘ Modenschau gehört?", fragte Hazel misstrauisch, als sie zu Hause angekommen waren.
"Aber natürlich!", rief Mrs. Hawthorne gleich und seufzte: "Ach, ich würde zu gerne hingehen! Es ist einfach wundervoll, diese ganzen herrlichen Kleider zu sehen! Man darf auch die neuen Stoffmuster ansehen und betasten, die hauchdünnen Seidenstoffe, die zarten Spitzen ...", schwärmte sie. "Sag bloß, du hast eine Einladung erhalten?"
"Nein", grinste Hazel, "nicht ich, sondern Cecily ."
Als Jefferson zwei Tage später meldete, dass Lady Arabells Kutsche vorgefahren sei, griff Hazel sich den Justaucorps und lief rasch aus dem Zimmer und über den Flur. Sie verfing sich jedoch an einem hervorstehenden Knauf einer Schublade einer kleinen Kommode und im selben Moment, indem sie bemerkte, dass ihr schneller Lauf gestoppt wurde, hörte sie auch schon den Stoff reißen. Voller Entsetzen erblickte sie den großen Winkelriss, ausgehend von dem Knopf, mit dem sie hängen geblieben war. Das war ja eine schöne Bescherung! Jeremys anderes Jackett hatte einen dicken Wachsflecken, den sie noch nicht herausgebügelt hatte, und ganz ohne Jacke konnte sie unmöglich gehen.
"Matthew!", flötete Jeremy mit Cecilys Stimme. "Wo bleibst du, mein süßes Bruderherz?" In diesem Moment sah Jeremy seine Schwester oben an der Treppe stehen. "Was ist passiert?", fragte er, beunruhigt über Hazels Gesichtsausdruck. Hazel berichtete ihm bestürzt von ihrem Missgeschick.
"Oh, verflucht!", sagte Jeremy ziemlich undamenhaft.
"Dann muss ich eben zu Hause bleiben", meinte sie.
"Ach, Quatsch!", befand Jeremy und eilte in sein Zimmer. "Hier!", kam er nach kurzer Zeit wieder heraus. "Zieh die an!", und er hielt Hazel seine wildlederne Jagdjacke hin.
"Bist du verrückt?", fragte Hazel. "Die kann ich unmöglich anziehen!"
"Wieso nicht?", entgegnete Jeremy unbeeindruckt. "Die stammt immerhin von Signor Cavacallo aus Mailand und ich habe sie wirklich selten getragen. Und jetzt komm!"
Das Leder fühlte sich unglaublich weich an ... Hazel schlüpfte probeweise in die Jacke. "Verflucht", knurrte Jeremy, "die steht dir viel besser als mir!" Und er meinte das offensichtlich ernst. Dennoch konnte Hazel sich nicht enthalten, sich kritisch im Spiegel zu besehen.Tatsächlich ... gar nicht so übel.
Madame Delacroix‘ Modesalon lag im vornehmsten Viertel der Stadt im Obergeschoss eines Hauses mit einer unauffälligen Fassade, an der nichts auf die Besonderheit der weitläufigen Räumlichkeiten im Inneren schließen ließ. Nur ein kleines Messingschild neben der Tür mit der Aufschrift "Mme. Delacroix, Maîtresse Couturière" wies die vornehme Adresse aus.
Cecily entstieg hinter Lady Arabell der Kutsche. Sie trug Hazels zartrosa Seidenkleid, in dem Hazel immer so blass wirkte, und sah darin schlichtweg bezaubernd aus. Kaum dass sie den größten der oberen Säle betreten hatten, erntete Cecily von etlichen der anwesenden Herren Komplimente, die sie wie üblich mit frivolen Bemerkungen entgegennahm. Ach, verflucht! Hazel kam sich in ihrer ledernen
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