Im Schatten des Verrats (Hazel-Roman) (German Edition)
Jagdjacke völlig deplaciert vor. Du liebe Zeit, was für ein Gedränge! Sie hatte nur für einen Moment nicht achtgegeben, schon fand sie Cecily und Lady Arabell in der Menschenmenge nicht mehr. Sie stellte sich auf zwei Stufen, um von da aus eine bessere Übersicht zu haben.
In dieser exponierten Stellung war sie nicht zu übersehen und so kam es, dass Madame Delacroix, als sie einen letzten Blick über die Menge schweifen ließ, ein junger Mann ins Auge fiel, der eine entsetzliche Jacke trug. Für einen kurzen Moment fragte sie sich, wozu sie sich eigentlich Saaldiener hielt, wenn sie nicht in der Lage waren, solche Elemente zu entfernen. Fest entschlossen, ihn augenblicklich hinauszuwerfen, schritt sie auf den Mann zu. Beim Näherkommen erkannte sie, dass er sehr jung sein musste, fast noch ein Knabe, denn seine Züge waren noch mädchenhaft weich. Nun, das mochte seinen modischen Fauxpas erklären – aber noch lange nicht entschuldigen. "Darf ich Ihre Einladung sehen?", fragte Madame höflich.
Hazel wandte sich um und kam die beiden Stufen herunter. Madame Delacroix traf die volle Wucht von grün aufleuchtenden Augen und errötenden Wangen. "Da haben Sie mich eiskalt erwischt", gestand Hazel mit entwaffnender Offenheit, "ich habe keine."
"Dann muss ich Sie bitten, meinen Salon auf der Stelle zu verlassen." Sie hatte mit aller Strenge sprechen wollen, aber angesichts dieses freundlichen, offenen Blicks war es ihr plötzlich unmöglich geworden.
Ohne dass man Hazel hätte sagen müssen, wen sie vor sich hatte, ahnte sie, dass es niemand anderes sein könnte als Madame selbst. "Ich will gewiss keine Schwierigkeiten machen", beteuerte sie, beeindruckt von Madames Stimme, die eine Spur tiefer war, als man es erwartet hätte, und durch ihr dunkles Timbre bestach, "aber ich bin mit Lady Arabell hier – und meine Schwester muss auch noch irgendwo im Saal sein. Wenn ich beiden nur eben Bescheid geben dürfte ..."
"Und wer ist Ihre Schwester?", erkundigte sich Madame, vorsichtig geworden, denn ihr kundiger Blick hatte sofort die elegante Schnittführung der Jacke erfasst, die zweireihigen Knöpfe taxiert und den ungewöhnlichen Schwung der Kappnaht bemerkt.
"Miss Cecily Hawthorne."
Madame erstarrte. " Sie sind Matthew Hawthorne?", fragte sie entgeistert.
Hazel errötete grundlos. "Das kann ich ja wohl schlecht leugnen", meinte sie verlegen.
Matthew Hawthorne! Herr im Himmel! Sie erinnerte sich zwar, dass jemand ihr nebenbei erzählt hatte, dass das einzige, was man an ihm aussetzen könne, der Sitz seiner Jacken sei, aber das hier ging über alles Vorstellbare hinaus! – Obwohl ... wenn man erst einmal akzeptiert hatte, dass eine Wildlederjacke zu Kniehosen aus Seide zu tragen ein völliger Bruch mit jeder Konvention war, dann hatte diese Jacke durchaus etwas an sich ... und wie dieser junge Mann sie trug ... mit dieser zwanglosen Lässigkeit ...
"Madame, ich schwöre Ihnen, das ist keine Ausrede", versicherte Hazel, die Madames Reglosigkeit anders deutete, "ich verstehe allerdings, wenn Sie mich unter so einer fadenscheinigen Behauptung nicht einlassen wollen, aber es wäre nett, wenn Sie die Freundlichkeit hätten, Lady Arabell ausrichten zu lassen, dass ich draußen bei der Kutsche warte." Sie verneigte sich knapp und wandte sich ab, um die Treppe hinunterzugehen.
Mon dieu! Diese Schulterlinie! Diese Waden! Diese Art zu gehen! Diese unglaubliche Körperhaltung trotz dieser schlaksigen Figur und das für einen Jungen in seinem Alter!
"Warten Sie!", beeilte Madame sich zu sagen, hastete hinter ihm her und legte, um Mr. Hawthorne zurückzuhalten, die Hand auf seinen Ärmel. Im nächsten Moment zuckte sie jedoch wieder zurück, denn das Leder von Mr. Hawthornes Jacke war so weich, dass es sich fast anfühlte, als ob sie seine nackte Haut berührt hätte ...
Hazel blickte sich um. Madames Herz bekam einen Riss.
"Woher haben Sie diese Jacke?", fragte sie atemlos.
"Verraten Sie’s nicht weiter", raunte Hazel, "ich habe sie meinem Bruder abgeluchst."
"Und woher hat Ihr Bruder diese Jacke?"
"Von Signor Cavacallo aus Mailand."
Madame Delacroix, der diese Adresse keineswegs unbekannt war, holte tief Luft. "Mr. Hawthorne", sagte sie, "mit einer solchen Jacke in meinen Modesalon zu kommen, ist eine Provokation ohnegleichen. Es ist mir durchaus zu Ohren gekommen, dass Sie den Marquis of Wainwright auf offener Straße gefordert haben - wenn Sie nun etwa die Absicht haben, meine Gäste zu brüskieren und Händel
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