Im Schatten des Vogels
ohneunter einer grünen Dachschräge zu liegen. Ich fühlte mich wie eine Prinzessin im Märchen, die Angst ging zurück, und auch die Platzangst verschwand.
Papa war quietschfidel und wurde nicht müde, Gästen und Durchreisenden das neue Haus zu zeigen. Hätte am liebsten jeden Tag Besuch bekommen. Die Arbeit blieb liegen.
Mein Bettkantenbrett war verschwunden. Ich suchte überall, konnte es aber nirgends finden. Fragte Papa, der tat, als wüsste er von nichts. Sah in seinen Augen, dass er wusste, was damit geschehen war. Ich drohte mit dem Schlimmsten, wenn es sich nicht fände. Auf der Stelle! Verstand nicht, woher ich diese Sicherheit hatte.
Einar brachte mir das Brett. Bat mich, nicht böse zu sein. Es war grünlich, hatte im Stall gelegen. Ich wusch es mit starkem Seifenwasser, trocknete es und stellte es an mein Bett. Knallte Türen und warf Papa böse Blicke zu, wenn er zu Späßen anheben wollte.
Ansonsten blieb kaum Zeit, an Sveinn zu denken, und ich hütete mich davor, unsere alten Orte aufzusuchen. Mied die Elfensenke. Tat nichts, was die Wunde hätte aufreißen können.
Vigfús Bjarnason arbeitete als Tischler für Papa. Sie kamen gut miteinander aus, und ich fand es nett, ihn wiederzutreffen. Auch Þórarinn war zu Hause und half mit. Das war vielleicht ein freudiges Wiedersehen!
Sein Haar war noch genauso kupferrot, aber die Proportionen in seinem Gesicht waren ausgeglichener, und die Ohren schienen geschrumpft zu sein. Die Sommersprossen waren fast verschwunden. Er war fröhlich und laut. Papa schätzteganz offensichtlich seinen Fleiß. Und Halldóra strahlte von morgens bis abends wie die Sonne. Es sah ganz so aus, als würde das neue Haus unser aller Leben verändern.
Die Wohnstube ist groß, und Papa hat ein Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch liegt der Almanach des Verbands isländischer Patrioten, und darüber hängt ein Bild des ersten Island-Ministers im dänischen Parlament, der auch selbst Isländer ist. Ein Verwandter von Papa. An der langen Wand hängt eine Europakarte, auf der die Länder verschiedene Farben haben. Diese Karte sehe ich mir oft an. Dänemark ist grün und kleiner, als ich dachte. Ob Gunnhildur wohl den ganzen Weg bis nach Kopenhagen zurücklegen wird? Britannien ist hellbraun. Dieses Land sehe ich mir am genausten an, und in meinen Träumen reise ich dorthin. Von dort haben wir das letzte Mal Nachricht von meinem Bruder Ingi erhalten. Es kommt mir vor, als sei es viele Menschenleben her, dass seine Karte und der Brief kamen. Sie sind mittlerweile so abgegriffen und zerknittert, dass man die Schrift kaum noch lesen kann.
Vigfús zimmert Regale und einen geschlossenen Schrank für das Arbeitszimmer. Durch die Gemeindevorsteherarbeit sammeln sich Briefwechsel und Berichte an, durch die Homöopathie Fläschchen und Gefäße. In der neuen Wohnstube stehen ein Tisch, Stühle und eine Anrichte. Der Diwan, das kleine Sofa, die braune Porzellankanne und das Bild von Maria und Jesus aus dem alten Gesellschaftszimmer wirken verloren neben der neuen Orgel. Der Orgelstuhl ist braun und rund, wie der, auf dem ich in Reykjavík saß. Ich spiele, wann immer ich eine freie Minute finde, manchmal spielt Papa auch Akkordeon. Doch er will immer sowohl Tonhöhe als auch Tempobestimmen, und wenn er das nicht kann, ist er schlecht gelaunt und hört mittendrin auf, als ob er neidisch auf die Orgel wäre.
Mutter wollte nicht zulassen, dass ich ein dänisches Kleid für sie nähte. Ich habe es trotzdem getan, Maß genommen und ihr Schnitte gezeigt, als wäre es das Normalste von der Welt. Als sie sah, dass es mir ernst war, ließ sie sich mitreißen.
Da stellte sich heraus, dass sie genau wusste, was sie wollte, und dass sie vom Stoff, den ich gekauft hatte, begeistert war. Als alles fertig war und sie das Prachtstück angezogen hatte, bekam sie vor Freude und Aufregung rote Wangen.
«Engelchen, wie tüchtig du bist!», sagte sie und sah sich im Spiegel an. Dann umarmte sie mich. Ich genoss es, ihre Wärme zu spüren, nahm allen Mut zusammen und fragte: «Darf ich dich auch kämmen?»
Sie sah mich verdutzt an, nickte dann langsam und feierlich, als würde sie so fein angezogen keine Bewegung riskieren wollen.
Ich ließ sie auf einem Stuhl Platz nehmen und löste ihre Zöpfe. Ihr Haar war einst schön blond gewesen, mittlerweile aber matt geworden, fast farblos. Trotzdem waren die Zöpfe noch dick. Eine ganze Weile bürstete ich das lange Haar, nahm dann eine Spange und machte ihr einen
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