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Im Schatten des Vogels

Im Schatten des Vogels

Titel: Im Schatten des Vogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Lüders
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stützt mich schweigend bis nach Hause. Bei Hulda halte ich kurz an und hole die leere Milchkanne unter dem Stein hervor. Vigfús tut so, als würde er es nicht sehen.
    Dann steckt er mich ins Bett und versucht, mir Leben einzumassieren. Bringt warme Milch und sitzt bei mir. Ich wache auf und schlafe wieder ein. Will nie wieder aufstehen.
    Papa sitzt am Bettrand. Fährt nicht hinaus aufs Meer, obwohl das Wetter gut ist. Seine kräftige Hand ist warm. Er spricht leise, ganz anders als sonst.
    «Mein kleiner Engel, du musst wieder auf die Beine kommen.»
    Ich bin so müde, dass ich kaum sprechen kann, doch es gelingt mir, hervorzustoßen: «Warum hast du nichts gesagt?»
    «Ihr habt nie gefragt, und was hätte ich da lamentieren sollen», antwortet er, den Tränen nahe. «Was geschehen ist, ist geschehen, wir können es nicht ändern.»
    «Und Mutter?»
    «Auch sie habt ihr nicht gefragt.»
    «Und wer hat euch die Nachricht überbracht?»
    «Pfarrer Gunnar hat einen Brief bekommen.»
    «Warum gab es keine Gedenkfeier?»
    Papa schweigt, antwortet schließlich mit gebrochener Stimme: «Eine Gedenkfeier? Für einen Mann, der vielleicht noch am Leben ist?»
    Ich verschwinde in eine Traumwelt. Bin im alten Torfhaus. Kristbjörg sitzt auf dem Bett in der Stallstube und flucht, was das Zeug hält, Ninna mosert herum und schimpft Gauja aus, und Ingi und ich lachen uns über alles kaputt. Dann sind wir oben an der Schlucht, nur wir beide. Sitzen auf einem großen Stein und schauen zum Sander, ganz weit in die Welt hinaus …
    Schließlich komme ich doch wieder auf die Beine, bin noch schwach, werde aber mit jedem Tag etwas kräftiger. Es sieht ganz so aus, als gäbe es einen Waffenstillstand. Alle bemühen sich, freundlich zu sein. Pétur Jakob hat Papas Einverständnis für die Seyðisfjörðurreise im Herbst bekommen, und Páll Jósúa soll die Lateinschule besuchen. Einar wird zu Hause bleiben, will Mutter nie verlassen.
    Ich merke, wie gerne Papa mich aufmuntern würde, wie gerne er mich lächeln und lachen sehen würde. Eines Tages, als Stefán sein Nickerchen macht und ich mich ausruhe, steht er im Türspalt und fragt, ob er mich stören dürfe. Ich bitte ihn, leise zu sein und sich zu mir ans Bett zu setzen. Es fällt ihm schwer, zu sagen, was er sagen möchte, doch dann bricht es aus ihm heraus: «Ich habe eine Strickmaschine bestellt. Sie kommt aus Reykjavík. Es ist eine Anleitung dabei. Damit wirst du lernen können, sie zu bedienen, Mädchen.»
    Ich starre ihn an. Bringe kein einziges Wort heraus. Mir wird schlagartig heiß, und meine Augen füllen sich mit Tränen, die über die Wangen kullern.
    «Na, na», sagt er und tätschelt unbeholfen meine Hand. «Hast du nicht davon gesprochen, dass du neben dem Schneidern auch stricken möchtest?»
    Immer noch kann ich nichts sagen. Ich nehme seine Hände, drücke sie ganz fest. Und lächle so strahlend, dass zweifellos die Grübchen zu sehen sind. Papas Mundwinkel zucken, und er beginnt zu weinen.
    Der Waffenstillstand erleidet einen Rückschlag, als Vigfús mir eines Abends verkündet, dass er ein Stück Land im Landesinneren gekauft habe und im Frühling mit dem Hausbau beginnen werde. Er sieht stolz und glücklich aus. Ich starre ihn an,traue meinen Ohren nicht. Und die Abmachung, die wir getroffen haben, dass wir hier wohnen? Bevor wir geheiratet haben. Hat er sie vergessen?
    Nein, nichts hat er vergessen, doch die Voraussetzungen stimmen seiner Meinung nach nicht mehr.
    «Du siehst selbst, dass es so nicht weitergehen kann. Diese ewige Zwietracht.»
    «Ja, und daran müssen wir arbeiten. Uns bemühen», flehe ich. Vigfús schüttelt den Kopf, sagt, dass sich zu viel geändert habe. Er möchte in seinen eigenen vier Wänden wohnen. Nicht von anderen abhängig sein.
    «Aber dann betrüge ich meine Eltern, ich habe versprochen, nie fortzugehen», schreie ich, den Tränen nahe.
    «Na, na, noch sind wir ja nicht weg», sagt er und tätschelt mich tröstend.
    «Ich werde auch nicht weggehen», sage ich. Meine Stimme ist heiser. Ich versuche, ruhig zu sein, obwohl ich ganz aufgelöst bin.
    Er will, dass ich mitkomme, um mir das Land anzusehen. Sagt, dass wir gemeinsam aussuchen, wo das Haus stehen soll. Ich weiß schon, wie es dort aussieht, muss es mir nicht ansehen. Hier werde ich leben und nirgendwo sonst!
    Zur Sommersonnenwende schiebt sich ein kleines Mädchen in die Welt. Die Geburt läuft reibungslos. Sie ist ein hellerer Typ als ihr Bruder und fordert mehr

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