Im Schatten des Vogels
Aufmerksamkeit, doch ich genieße es. Wir reiten mit ihr zur Kirche, wo sie auf den Namen Katrín getauft wird. Diesmal waren Vigfús und ich uns über die Namensgebung einig. Mutter strahlt wie die Sonne, und alle sind glücklich. Auf dem Hin- und Rückweg von der Kirche reiten wir an dem Fleckchen Erde vorbei, das jetzt unsgehört. Vigfús möchte wissen, ob ich mit dem Platz für das Haus zufrieden bin. Zeigt auf Pfosten, die er auf einem kleinen Areal unweit eines Baches in den Boden gerammt hat.
Ich schaue mich um. Zwei weitere Höfe liegen auf dem Gelände. Hier ist alles viel weiter und der Horizont freier als daheim. Der Berg ist zerklüftet, und die Gipfel ragen oberhalb der Höfe steil in den Himmel. Kein Wasserfallrauschen.
Vigfús wartet auf eine Antwort. Warum stellt er mir gerade jetzt diese Frage? Ich habe das Gefühl, von Vigfús gegen eine Wand gedrängt zu werden. Ich lasse die Augen über den gelben Butterblumenteppich wandern, der das ganze Land bedeckt, schaue zum Sander, drücke Katrín an mich und kapituliere mit einem Nicken. Was bleibt mir auch übrig? Ich habe keine Lust, mich hier zu streiten, frisch nach der Taufe des Kindes, aber trotzdem werde ich nicht in dieses Haus ziehen. Niemals. Und das weiß Vigfús.
Abends und am Wochenende reitet Vigfús ins Landesinnere. Ich frage ihn nicht, was er dort tut, doch im Spätsommer kommt er mit einigen Bündeln Heu zurück. Meine Brüder helfen ihm, und er ist stolz auf seinen Heubeitrag. Papa geifert, sagt, dass er genug Heu habe.
«Dann ist das halt für mein Vieh», sagt Vigfús ironisch, woraufhin Papa die Türen knallt. Dann kauft Vigfús eine junge Kuh und bringt sie im Stall unter. Bei zwei Kleinkindern und einem vielköpfigen Zuhause sei das das Mindeste, sagt er. Die Kuh ist schwarz und hat einen weißen Kopf. Sie ist zierlich, und ich darf ihr den Namen Schneekuppe geben. Die Felder sind abgeerntet, und Mutter kann Pfannkuchen und Küchlein backen, ohne sich quälende Gedanken über Verschwendung zu machen.
Als es Herbst und dunkel wird, befällt mich die alte Angst. Morgens weckt sie mich, und abends schlafe ich mit ihr ein. Das Verhältnis zwischen Papa und Vigfús ist leicht entzündbar, es muss nur eine Kleinigkeit schiefgehen, dann explodiert es.
Ich laufe oft hinauf zum Wasserfall und besuche auf dem Weg Hulda, sehe niemanden, spüre aber, dass ich dort eine Verbündete habe. Vigfús inspiziert mich genau, wenn ich nach Hause komme, fragt, ob alles in Ordnung sei, und manchmal holt er mich sogar zurück. Eines Abends folgt er mir zur Schlucht und verlangt eine Erklärung. Sagt, dass die Leute über mich reden und er nicht umhingekommen sei, das Gerücht zu hören.
«Was für einen Unsinn treibst du immer hier oben?», fragt er und stellt sich zu mir. Sieht mich forschend an.
Ich will ihn bitten, sich zu setzen, nicht so dazustehen.
«Warum habe ich so manches, was da geredet wird, nicht vor unserer Hochzeit erfahren?»
Wenn ich wüsste, wovon er spricht, könnte ich vielleicht antworten, doch so schweige ich einfach weiter.
«Es heißt, du seist im Winter auf der Mädchenschule verrückt geworden – ist das wahr? Und auch, dass du draußen beinahe umgekommen wärst?»
Mich überkommt das Verlangen, mich an ihn zu schmiegen, ihn zu bitten, all die Erschöpfung wegzuküssen und mich von der Angst zu befreien. Offen mit ihm zu sprechen. Aber ich habe kaum Hoffnung, dass er versteht, was ich sage. Sehe ihn an und schweige.
«Möchtest du mir etwas sagen?», fragt er noch einmal.
Ich sehe zu einer Wolkensäule über dem Gletscher und entdecke Kristbjörg. Sie sieht ungewöhnlich fröhlich aus und lächelt. Ich lächle zurück, stehe auf und mache mich auf denWeg den Hang hinunter. In der Nacht werde ich wach und sehe, dass Vigfús noch nicht da ist. Am nächsten Morgen ist er schon aufgestanden, als ich von Katrín geweckt werde.
Eines Tages stehe ich lange im Arbeitszimmer und sehe mir Papas Medikamentenfläschchen an. Er ist draußen, um ein Pferd zu beschlagen, ich bin allein. Ob Papa mir helfen kann, die Angst in den Griff zu bekommen? Wenn er andere heilen kann, dann sollte er auch mir einen Rat geben können.
Ich blättere in seinen Büchern, weiß aber nicht, wonach ich suchen soll. Im Schrank finde ich ein Päckchen mit weißem Pulver, auf dem Aspirin steht. Rieche daran und sehe mir das Päckchen lange an. Höre Schritte, eile aus dem Zimmer und schließe die Tür.
Garpur ist tot.
Jahrelang ist er Vigfús auf
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