Im Schatten dunkler Mächte
Nacht musste ich mir wieder ein Schlupfloch suchen.
Ich betrachtete die Stadt, bis der Tag endgültig angebrochen war und Sonnenlicht auf den vielen Glasscherben auf dem Kopfsteinpflaster glitzerte. In den vergangenen fünfundvierzig Minuten hatte ich keinerlei Bewegung wahrgenommen. Es schien, als hätten die FuÃsoldaten der Unseelie die Stadt von allem menschlichen Leben gesäubert, um dann weiterzuziehen. Allerdings bezweifelte ich, dass sich die Schatten davongemacht hatten. Ich entdeckte Grün in den AuÃenbezirken. Vermutlich hatten sie bis zum Morgengrauen geschlemmt, bis die ersten Lichtstrahlen sie gezwungen hatten, sich in ihre Ritzen und Spalten zurückzuziehen. Ich dankte dem Schicksal, das mich dazu inspiriert hatte, den MacHalo zu erfinden. Wie es aussah, würde er für eine ganze Weile zum integralen Bestandteil meiner Ãberlebensstrategie werden. Ansonsten konnte ich nirgendwo im Licht bleiben, weil es kein Licht mehr gab.
Der erste Punkt auf meiner Tagesordnung war: Batterien organisieren. Der zweite: Essen besorgen. Zum dritten fragte ich mich, ob mich Barrons auch in einer Welt, die mit dem Feenbereich verschmolzen war, durch das Tattoo in meinem Nacken aufspüren konnte und obdas gut oder schlecht wäre. Würde Vâlane mich suchen? Hatten die Sidhe-Seherinnen überlebt? Wie ging es Dani? Ich wagte nicht, meine Gedanken nach Ashford zu lenken. Bis ich ein funktionierendes Telefon fand und anrufen konnte, durfte ich mich nicht mit diesen Ãngsten belasten.
Auf der obersten Sprosse der wackeligen Stiege streifte ich die Speerscheide ab, lieà sie auf den Boden mehr als dreiÃig Meter unter mir fallen. Sie landete in der Ecke neben der Tür. Falls die Sprossen zerbrachen, würde ich wenigstens nicht in meinen Speer stürzen.
Ich kletterte langsam und vorsichtig in die Tiefe und atmete erst wieder regelmäÃig, als ich den Boden erreichte. Mittlerweile hatte ich den ganzen Unseelie-Vorrat vertilgt. Ich würde mich sicherer fühlen, wenn ich immer etwas davon bei mir hätte. Ich wollte mehr. Brauchte mehr. Wer weiÃ, welchen Kämpfen ich mich heute stellen musste?
Ich packte einen Riemen des Holsters, streifte ihn mir über die Schulter und trat durch die schmale Tür, legte den Kopf zur Seite und lauschte auf Stimmen, Bewegungen, irgendwelche Anzeichen für Gefahr. In der Kirche war es schaurig still. Ich atmete ein und nutzte den Vorteil meiner durch Unseelie geschärften Sinne. In der Luft lag ein spezieller Geruch, einer, den ich nicht benennen konnte. Er war reizvoll, und trotzdem beunruhigte er mich. Er kam mir bekannt vor ⦠und doch nicht ganz. Ich hasste es, meine Sidhe-Seher-Sinne nicht zur Verfügung zu haben und nicht zu wissen, ob Feenwesen im Hinterhalt lauerten.
Ich schlich verstohlen vorwärts und fügte meiner Tagesordnung einen vierten Punkt hinzu: Ich brauchte andere Schuhe. Tennisschuhe. Stiefel sind seltenförderlich, wenn man sich möglichst geräuschlos fortbewegen wollte, meine waren es jedenfalls nicht.
Mitten im Vorraum blieb ich stehen. Zu meiner Linken führte eine breite Marmortreppe mit einem Teppichläufer hinunter bis zu einer groÃen Doppeltür, durch die man die Kirche verlassen konnte.
Zu meiner Rechten befand sich der Zugang zur Kapelle. Selbst durch die geschlossenen Türen konnte ich das Allerheiligste, den schwachen, unangenehmen Geruch von Weihrauch und diesen anderen flüchtigen, würzigen Duft, der mich gleichzeitig störte und neugierig machte, wahrnehmen. In dem schwachen Morgenlicht schien die breite Tür sanft und einladend zu leuchten.
Ich konnte mich nach links wenden und mich auf Dublins StraÃen wagen oder in die Kapelle gehen und ein paar Minuten Zwiesprache mit einem Gott halten, mit dem ich nie viel gesprochen hatte. Hörte er heute zu? Oder hatte er kopfschüttelnd seine Schöpfungstasche gepackt und sich einer anderen, weniger vermurksten Welt zugewandt? Worüber sollte ich mit ihm reden? Sollte ich ihm anvertrauen, wie sehr ich mich durch Alinas Tod betrogen fühlte? Wie wütend es mich machte, allein zu sein?
Ich wandte mich nach links. Mit den Monstern in den StraÃen kam ich besser zurecht.
Auf den letzten Stufen überkam mich unglaubliche Lust, versengte meinen Willen und weckte ein exotisches, qualvolles Verlangen. Zur Abwechslung hieà ich diese Empfindung willkommen.
»Vâlane!«, schrie ich und
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