Im Schatten dunkler Mächte
jemand zum Glockenstuhl hinaufgestiegen war. Mussten Glocken nicht auch gewartet werden? Oder war es vielmehr fünfzig Jahre her, dass jemand da oben gewesen war?
Egal. Ich hatte nicht vor, unten zu bleiben.
Zwei der Sprossen gaben nach. Beide Male retteten mich meine übermenschliche Kraft und die schnellen Reflexe. Ohne Unseelie in meinen Adern wäre ich durch die Lücken gefallen, in die Tiefe gestürzt und hätte mir im besten Falle alle möglichen Knochen gebrochen. Und beide Male war ich mir quälend bewusst, wie das kalte Gewicht des Speeres an meine Schenkel stieÃ. Solange ich in diesem Zustand war, hasste ich es, ihn bei mir zu haben. Ich war wie ein Wasserballon, der mit Stecknadeln beklebt war und über den Boden rollte â ich forderte das Schicksal heraus.
Unsicher stand ich auf der obersten Sprosse und streckte mich, um die Falltür zu erreichen. Ich stieà sie auf, hievte mich durch die Ãffnung und sah mich um. Ich befand mich in einem Raum direkt unter der Kirchturmspitze, über mir war eine ähnliche Plattform, über der zwei groÃe Messingglocken hingen. Der Raum schien so etwas wie eine Abstellkammer zu sein mit Werkzeugkästen und einem Besenschrank, der halb offen stand. Ich bewegte mich darauf zu, um mich zu vergewissern, dass er schattenfrei war, und schloss die Tür ganz. Das Quietschen der Scharniere jagte mir Schauer über den Rücken.
Ich kletterte die letzte Leiter zum Glockenstuhl hinauf.
Zu meinem Erstaunen hatte sich das Unwetter mittlerweile nach Norden verzogen; die Wolken waren aufgerissen, und Mondlicht beleuchtete, wenn auch schwach, den Kirchturm. Ich knipste meine Lichter aus, um nicht auf meinen Aufenthaltsort aufmerksam zu machen. Vier groÃe steinerne Bogen, doppelt so hoch wie ich, rahmten die Turmspitze in allen vier Himmelsrichtungen ein. Ich trat unter den, der nach Osten wies, und erschauderte in der kalten Brise, während ich die Stadt überblickte.
Feuer brannten an vielen Stellen, Autos lagen auf der Seite, und Tausende und Abertausende Krawallmacher wüteten und zogen plündernd durch die StraÃen. Ich beobachtete, dass sie wie Wogen die Stadt überfluteten. Etliche tausend Menschen wurden vor meinen Augen in die Dunkle Zone gedrängt und den wartenden Menschenfresser-Schatten, die sie aussaugten, bis nur noch eine papierne Hülle von ihnen übrig war, in die Arme getrieben. Ich hörte ihre Angstschreie. Sie würden mir bis zu meinem letzten Atemzug im Ohr bleiben.
Ich stand hoch oben und sah hilflos zu, wie sich die Dunkelheit Stück für Stück, Bezirk für Bezirk über Dublin senkte, als würde jemand in Dublins Keller eine Sicherung nach der anderen herausdrehen.
Ich erinnerte mich an die Nacht, in der ich zusammengerollt auf der Bank unter dem Fenster in Barrons Books and Baubles lag und einer optischen Täuschung aufgesessen war.
Dies hier war keine optische Täuschung. Vielmehr war es der gröÃte Halloween-Streich aller Zeiten. In Dublin würde heute Nacht niemand SüÃigkeitenverteilen. Auf diese Katastrophe hatte OâBannion neulich angespielt.
Es war 20 . 29  Uhr; die Dunkelheit hatte die Herrschaft übernommen.
Selbst die Feuer waren gelöscht.
Die Geräusche hatten sich verändert; es waren nicht mehr so viele Stimmen, und die, die ich hörte, klangen ängstlich, nicht zornig. Das Knallen militanter Schritte drang in regelmäÃigen Abständen zu mir herauf. Die Unseelie waren noch bei der Arbeit, sammelten Menschen auf und töteten sie. Mich kostete es jedes Quentchen Selbstbeherrschung, nicht dort hinunterzugehen und die Menschen zu retten, die noch da waren.
Da drauÃen hinter einem gewissen Buchladen breitete sich eine Dunkle Zone aus und eroberte die Stadt.
Dublin war ohne jede Hoffnung bis 7 . 25 Â Uhr, bis Sonnenaufgang.
Ich fragte mich, wie es den MacKeltars erging. Sabotierte Barrons auch ihr Ritual? Für mich machte das überhaupt keinen Sinn. Warum sollte sich Barrons wünschen, dass die Mauern fielen? Wollte er das? Könnte der Orb schon verseucht gewesen sein, als er ihm in die Hände gefallen war â eine präparierte Handgranate, die nur darauf wartete, dass der Stift herausgezogen wurde? Woher hatte er ihn? War ich ein hoffnungsloser Dummkopf, weil ich nach wie vor Entschuldigungen für ihn suche?
Stürzten die Mauern bereits ein? War dies die Flut von Unseelie, die aus ihrem
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