Im Schatten (German Edition)
sich gesetzt hatten, sah er sie eine Weile nachdenklich an, bevor er fragte:
» Können Sie Englisch?«
»Ein bisschen« , antwortete Valerie und konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken.
» Was heißt ›ein bisschen‹? Und wieso zum Teufel grinsen Sie so? Gibt es da irgendetwas, das ich wissen sollte?«
Das gab es in der Tat, doch Valerie bezweifelte, dass Herr Burzig Mark von ihrer Herkunft erzählt hatte, also holte sie es nach:
»Englisch ist meine Muttersprache. Meine Mutter ist Kanadierin, und ich bin zweisprachig aufgewachsen.«
» Kanadierin?« Er starrte sie an, als hätte sie ihm eröffnet, ihre Mutter käme von einem anderen Stern. »Wie ist sie ausgerechnet in Deutschland gestrandet?«
» Sie hat Ozeanographie studiert, und weil sie etwas von der Welt sehen wollte, ist sie für ein Jahr hierher zum Institut für Meereskunde gegangen. Na ja, ursprünglich war ein Jahr geplant. Allerdings hat sie da meinen Vater kennen gelernt, er war als Techniker dort. Und es hat zoom gemacht.« Wieder grinste Valerie vielsagend. Mehr als vierzig Jahre waren sie glücklich verheiratet gewesen, bis er gestorben war.
» Und dann sind sie hier geblieben? Warum sind sie nicht nach Kanada gegangen?« Mark machte ganz so den Eindruck, als würde er eine solche Chance nur allzu gern nutzen.
» Meine Mutter ist wesentlich abenteuerlustiger als mein Vater. Ihr machte es nichts aus, in einem anderen Land zu leben, ihm schon. Also blieben sie hier. Ich habe aber immer sehr schöne Ferien dort verbracht. Leider ist mein Mann nicht so fürs Fliegen und wahrscheinlich auch durch seine vielen Auslandsaufenthalte schon ziemlich übersättigt. Und da meine Großeltern nicht mehr leben, bin ich, seit ich erwachsen bin, nur noch dreimal dort gewesen.«
Valerie dachte mit Bedauern daran. Kanada war ein sehr schönes Land, und sie hatte sich dort immer wohlgefühlt. Werner jedoch hatte sich nie wirklich dafür erwärmen können, und so waren die Besuche in der Heimat ihrer Mutter selten gewesen. Doch sie schob den Gedanken beiseite und fragte, was der Grund für seine Frage gewesen sei. Mark erzählte ihr, der neue Interessent in Berlin sei ein amerikanischer Konzern, und er stellte sich darauf ein, den Großteil der Präsentation und der Verhandlungen auf Englisch führen zu müssen. Valerie hingegen kam zu dem Schluss, die herausgesuchten Präsentationsmappen seien nicht die richtigen und holte andere aus ihrem Büro – in englischer Sprache. Mark war hoch erfreut, als er sie sah:
» Das ist ja fantastisch! Haben Sie die gemacht?« Valerie nickte und freute sich über die Anerkennung. Es war für sie eine Selbstverständlichkeit gewesen, die neuen Texte für die Mappen ins Englische zu übersetzten und beim Druck gleich einige in ihrer Muttersprache mitzubestellen. Gemeinsam besprachen sie nun die Vorgehensweise, und Mark legte den größten Teil der Vorbereitung und der eigentlichen Präsentation in Valeries Hände. Die ganzen nächsten Tage arbeitete sie daran und oft saßen sie gemeinsam in Marks Büro und besprachen die Fortschritte und das weitere Vorgehen. Mark war sehr zufrieden, und Valerie machte die Arbeit mit ihm einen ungeheuren Spaß. Er war sehr zielstrebig, verlor dabei aber nie seine fröhliche und humorvolle Art. Dabei legte er ihr gegenüber eine unaufdringliche Höflichkeit an den Tag, die sie seit langer Zeit zum ersten Mal wieder bewusst werden ließ, sie war nicht nur Zeichnerin und Kollegin, sondern Frau. Er legte ihr ganz leicht die Hand auf den Rücken, wenn er sie, die Tür aufhaltend, in sein Büro führte, nahm ihr die Jacke ab und rückte ihr den Stuhl zurecht, wenn sie gemeinsam zum Mittagessen gingen, und machte ihr immer wieder kleine Komplimente. Am Tag der Präsentation dann trafen sie sich früh am Morgen auf dem Firmenparkplatz, und sie stieg zu ihm ins Auto, um mit ihm gemeinsam zum Flughafen zu fahren. Während der ganzen Fahrt plauderten sie, ohne die dienstliche Aufgabe zu erwähnen. Mark wollte alles über Kanada wissen, und Valerie erzählte bereitwillig. Erst im Flugzeug sprachen sie noch einmal die festgelegte Strategie durch. Das Treffen verlief erwartungsgemäß gut. Die Amerikaner waren sehr angetan von der Präsentation und dem anschließenden Smalltalk, und als Mark und Valerie vor dem Rückflug noch gemeinsam essen gingen, schwärmte er:
» Sie waren einfach fantastisch. Ich hätte das nicht halb, ach was sage ich, nicht ein Viertel so gut hinbekommen. Wenn wir den
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